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150 Sara Mehlmer
wichtigen Anbauflächen, sondern darüber hinaus einen enormen Eingriff
in ihr soziales und religiöses Leben. Denn auf dem nun spanischen Territo-
rium befanden sich, neben einem Friedhof und dem Grab des Heiligen Sidi
Guariach36, auch die jenem Heiligen gewidmete und überregional bekannte
Moschee37 sowie zahlreiche als heilig verehrte Feigenbäume. Anhand des
Konflikts um die Moschee, der sich 1863 zuspitzte, soll im Folgenden die
für die Region typische Vermischung religiöser Elemente mit territorialen,
sozialen und wirtschaftlichen Faktoren sowie deren gewaltsames Potenzial
exemplarisch aufgezeigt werden.
»Krieg den Christen«?
Religion und Radikalisierung im Grenzkonflikt
Noch im April 1862, also mehr als ein Jahr vor der Zerstörung der Moschee
durch die Spanier, hatte ein Stammesführer die Weigerung der Berber zur
Gebietsabtretung unter anderem damit erklärt, dass diese von den Spani-
ern die Besitzzusicherung über ihr Gotteshaus forderten, das für sie ein »Ort
großer Verehrung« sei38. Dies entsprach auch den Forderungen von Muley
el-Abbás, dem Bruder des Sultans, der die Verhandlungen mit den Spaniern
übernommen hatte39. Der Gouverneur von Melilla, Manuel Alvarez Mal-
donado, sicherte den Berbern zu, die Moschee »[…] so zu erhalten wie sie
ist, sodass sie sie, wenn sie unser Gebiet durchqueren, besuchen und dort
ihre Andacht verrichten können […]«40, was jedoch, so die sofort folgende
Einschränkung, keinesfalls als vertraglich bindende Verpflichtung Spaniens
angesehen werden dürfe.
Die Verbindung zwischen Territorium und Heiligtum war im Riffgebiet
stark ausgeprägt, sodass auch Bäume, die sich in unmittelbarer Umgebung
zu Heiligengräbern und Moscheen befanden, als Träger von »baraka« (sinn-
36 Zu Sidi Guariach und dessen Verehrung vgl. Calderón Ruiz / Ponce Gómez, Itine-
rario místico-mágico, S. 94f. sowie Rafael Fernández de Castro y Pedrera, El Rif.
Los territorios de Guelaia y Quebdana, Málaga 1911, S.
140f. Zur allgemeinen Bedeu-
tung heiliger Grabesstätten im präkolonialen Marokko vgl. Mohamed El Mansour,
The Sanctuary (Hurm) in Precolonial Morocco, in: Rahma Bourqia / Susan Gilson
Miller (Hg.), In the Shadow of the Sultan. Culture, Power, and Politics in Morocco,
Cambridge MA 1999, S. 49–73 sowie Edward Westermarck, Ritual and Belief in
Morocco, London 1926, Bd. 1, S. 51–66.
37 Hier kehrten
u.a. marokkanische Reisende zum Beten ein. Maldonado ans spanische
Kriegsministerium, 30. September 1863, AGA (15)17 SAM, 81 / 00130.
38 Maldonado an Merry y Colom, Melilla, 4. April 1862, AHN, Exteriores, TR–115.
39 Merry y Colom an Maldonado, Tanger, 8. Juni 1862. Archivo General Militar, Ma-
drid (im Folgenden: AGMM), Caja 426, Leg. 6, Carp. 8.
40 Maldonado an Merry y Colom, Melilla, 4. April 1862, AHN, Exteriores, TR–115.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918