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154 Sara Mehlmer
Maldonados, der stellvertretend für eine große Zahl spanischer Akteure vor
Ort stehen kann, darunter Militärangehörige, Konsuln und andere politi-
sche Vertreter sowie Zivilisten und Kleriker in den Exklaven. Die Gleichset-
zung berberischer Gewalt mit einem fanatischen Hass auf Christen im All-
gemeinen und spanische Christen im Besonderen mochte der Sozialisierung
in Spanien geschuldet sein, hatte aber darüber hinaus konkrete Funktionen:
Einerseits ließ sich die eigene Gewalt dadurch als Verteidigungsakt legiti-
mieren, andererseits konnte man die eigene Toleranz und Zivilisiertheit kon-
trastierend hervorheben. Letzteres wiederum ließ sich mit einer besonderen
Zivilisierungsmission Spaniens verknüpfen, die in der jahrhundertelangen
gemeinsamen Geschichte beider Völker und einer daraus abgeleiteten »Ver-
wandtschaft« wurzelte. In diesem Zusammenhang lässt sich ein Changieren
zwischen Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsrhetorik feststellen.
Während im Krieg gegen Marokko (1859–1860) die Abgrenzung, zum
Beispiel durch Bezüge auf siegreiche Schlachten und Heldenfiguren aus der
Reconquista, dominierte57, ebbte dies nach 1860 ab. Der Fokus lag nun weni-
ger auf der umfassenden, auch religiösen Kriegsmobilisierung der eigenen
Bevölkerung, als vielmehr auf den wirtschaftlichen und expansiven Interes-
sen Spaniens in Nordafrika, wofür man eine Rhetorik der Freundschaft und
(wenn auch ungleichen) Brüderlichkeit zwischen beiden Völkern bevorzugte,
um daraus eine spezifisch spanische Zivilisierungs- und letztlich Kolonisie-
rungsmission abzuleiten58. Die jahrhundertelange gemeinsame Geschichte
beider Völker wurde in diesem Zusammenhang nicht mehr als Grundlage
für eine tief wurzelnde Feindschaft, sondern vielmehr für die Betonung einer
besonderen Verwandtschaft herangezogen. Maldonado selbst hatte den Riff-
berbern in mehreren Apellen noch im Frühsommer 1863 Friede und Freund-
schaft mit den Spaniern und die Bewahrung ihrer Besitzungen zugesichert,
wobei er die gegenseitige »Brüderlichkeit« betont hatte59. Hinter den Freund-
schaftsbekundungen des Gouverneurs, ebenso wie anderer spanischer Ver-
treter in Nordmarokko, stand in erster Linie die Absicht, die Handelskon-
57 Vgl. José Álvarez Junco, El Nacionalismo Español como Mito Movilizador. Cuatro
Guerras, in: Rafael Cruz / Manuel Pérez Ledesma (Hg.), Cultura y Movilización
en la España Contemporánea, Madrid 1997, S. 35–67, hier S. 47f. Zum Einfluss des
Religiösen auf das Theater während des »Afrikakrieges« vgl. Marie Salgues, Tea-
tro patriótico y nacionalismo en España, 1859–1900, Zaragoza 2010, S. 36. Zu den
Auswirkungen des Krieges auf Presse und Literatur in Spanien vgl. Marie-Claude
Lécuyer / Carlos Serrano, La Guerre d’ Afrique et ses répercussions en Espagne.
Idéologies et colonialisme en Espagne 1859–1904, Paris 1976 sowie die Dissertation
von Alfonso Iglesias Amorín, La Memoria de las Guerras de Marruecos en España
(1859–1936), Santiago de Compostela 2014.
58 Vgl. Susan Martin-Márquez, Disorientations. Spanish Colonialism in Africa and
the Performance of Identity, New Haven u.a. 2008, S. 50f.
59 Maldonado an die Anführer der benachbarten Berberstämme, Melilla, 1. Mai 1863,
AGMM, Caja 0426, Leg. 6, Carp. 10.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918