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158 Sara Mehlmer
Die Ereignisse in der Exklave wurden im spanischen Kernland sehr
unterschiedlich rezipiert. Während regierungsnahe Zeitungen die Haltung
der Königin lobten, die durch diplomatisches Geschick eine friedliche Bei-
legung des Konflikts unter aktiver Beteiligung des marokkanischen Staates
erreicht habe80, beklagten kritischere Stimmen das Versäumnis Spaniens,
sich im Riffgebiet mit Macht durchgesetzt zu haben: Das Gelände sei noch
immer nicht vollständig gerodet, doch die berberischen Gefangenen befän-
den sich schon wieder auf freiem Fuß, die Riffbewohner bestellten weiterhin
ihre Felder in eigentlich spanischem Gebiet, die Hauptverantwortlichen für
den Angriff auf die Exklave seien geflohen – »Es kann nicht besser laufen«,
kommentierte die liberale Zeitung La Iberia ironisch81. Eine erneute Kriegs-
erklärung an Marokko hielt man in Madrid weder für notwendig noch für
umsetzbar, stattdessen bemühte man sich, die Schuld für die Eskalation den
»unberechenbaren« Riffbewohnern anzulasten. Diese Strategie war bei Wei-
tem nicht neu82 und sie ermöglichte die Aufrechterhaltung diplomatischer
Kontakte zwischen marokkanischen und spanischen Staatsvertretern, wäh-
rend gleichzeitig die Bestrafung der Riffberber als gemeinsames Ziel beider
Regierungen proklamiert wurde83.
Die tatsächlichen Abrissarbeiten wurden schließlich, aufgrund der früh-
zeitigen Abreise Muley el-Abbás’, von spanischen Häftlingen und Soldaten
ausgeführt, was man eigentlich hatte vermeiden wollen84. Bei jenen Planie-
rungsarbeiten im November 1863 war auch ein gewisser, in den spanischen
Quellen als »Sherif« bezeichneter Muley Ismael zugegen, eine angesehene
80 La Esperanza, 30. November 1863.
81 La Iberia, 19. November 1863.
82 So hieß es beispielsweise in einer vertraglichen Übereinkunft zwischen Marokko
und Spanien im Jahr 1844 im Hinblick auf die Riffbewohner: »[…] diese gesetzlosen
Leute müssen oftmals weniger als gewöhnliche Untertanen als vielmehr als unzi-
vilisierte Verbrecher angesehen werden, die sich außerhalb der Rechtsherrschaft
befinden und aktuell nicht seiner [des Sultans] Macht unterworfen sind«. Art. 5 des
»Acuerdo satisfaciendo varias reclamaciones […]«, Tanger, 25. August 1844, in: de
las Cagigas, Tratados y convenios, S. 30f.
83 Die den Berberstämmen auch von Seiten des Makhzens immer wieder attestierte
Unzivilisiertheit und Unkontrollierbarkeit weist deutliche Parallelen zum europäi-
schen Orientbild und Zivilisierungsdiskurs auf. Der Makhzen nutzte dieses Bild, so
die Einschätzung Itzea Goikolea-Amianos, um unter den europäischen Mächten die
Furcht vor berberischen Aufständen und Unruhen in Marokko zu wecken und sie
so zur Kooperation mit dem Makhzen und zur Begrenzung der kolonialen Inbesitz-
nahme zu bewegen. Das Bild der aufwieglerischen und unzivilisierten Berberstämme
wurde von spanischen und anderen europäischen Vertretern aufgegriffen und
letztlich, entgegen der Absichten des Makhzen, als Legitimation für die Kolonisie-
rung des Landes verwendet, vgl. Goikolea-Amiano, Hispano-Moroccan Mimesis,
S. 50–52, 56f.
84 Maldonado an den spanischen Kriegsminister, Melilla, 24. Dezember 1863, AGA
(15)17 SAM, 81 / 00131.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918