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159Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
Führungsperson aus dem Riffgebiet85. Gemeinsam mit weiteren Berbern
begleitete er den Abriss der Moschee mit Beschimpfungen und Flüchen,
wie der Gouverneur zufrieden berichtete86. Jener Muley Ismael hatte sich
angeblich am 27. August bei der Mobilisierung der Berberstämme gegen
die Exklave besonders hervorgetan87, seine Anwesenheit verstärkte in den
Augen Maldonados also noch die Symbolkraft der Zerstörung des Gottes-
hauses. Neben der Erinnerung an und Furcht vor Gewalt sowie dem Wunsch
nach Rache spielten also auch einzelne Akteure für die Ausgestaltung des
Grenzkonflikts eine Rolle. Lokale religiöse, gesellschaftliche oder militä-
risch-politische Autoritäten wie Maldonado oder der »Sherif« Ismael verfüg-
ten nicht nur über gewisse Vollmachten, sondern auch über Mittel und Wege
zur Mobilisierung oder eben Beschwichtigung der eigenen Leute88.
(Gewalt-)Erfahrungen, persönliche Einstellungen sowie Interessen Ein-
zelner konnten, so ist zu vermuten, das Verhältnis zum Nachbarn eklatant
beeinflussen, umso mehr, da man sowohl auf eine Tradition des Austauschs
und der Koexistenz als auch auf eine Tradition der Gewalt zurückblicken
und sich, je nach situativem Kontext, aus einem entsprechenden ideologi-
schen Repertoire bedienen konnte. Während sich Maldonado noch im
Frühsommer 1863 den Berbern gegenüber wohlwollend »brüderlich« präsen-
tiert hatte, um Handelsbeziehungen zu intensivieren, und in diesem Rahmen
auch den Erhalt der Moschee versprochen hatte, war der Wunsch nach Inter-
aktion offenbar innerhalb weniger Wochen in Aggression umgeschlagen, die
letztlich in der symbolträchtigen Zerstörung der Moschee ein Ventil fand.
Der Abriss der Moschee ist also, so lässt sich zusammenfassen, nicht allein
als religiös-symbolischer Gewaltakt zu verstehen, sondern als Teil einer lang-
jährigen, mehr oder weniger gewaltsamen Auseinandersetzung um wirt-
schaftliche, soziale, politische und religiöse Ressourcen in der Grenzregion,
bei deren Austragung die Erinnerung an erfahrene Gewalt sowie deren Deu-
tung eine zentrale Rolle spielte.
85 Mit dem Begriff »sharīf« / »shurfā« werden in der muslimischen Welt Personen
bezeichnet, deren sozial hohe Stellung sich u.a. aus ihrer Verwandtschaft mit dem
Propheten Muhammad ableitet. Es kann sich dabei um säkulare wie religiöse Füh-
rungspersonen handeln, vgl. Clifford E. Bosworth u.a. (Hg.), The Encyclopaedia of
Islam. New Edition, Bd. 9, Leiden 1997, S. 329–337.
86 Maldonado an das Kriegsministerium, Melilla, 24. Dezember 1863, AGA 15(17)
SAM, 81 / 00131.
87 Merry y Colom an Mohammed Vargas, Tanger, 17. September 1863, AGA (15)17
SAM, 81 / 00130.
88 Angeblich war auch der Pascha des Riffgebietes aktiv an der Aufstachelung der Ber-
ber zum Widerstand gegen die Grenzverschiebungen beteiligt. La Época, 5. Septem-
ber 1863.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918