Page - 168 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 168 -
Text of the Page - 168 -
168 Tim Buchen
mation für die Bestrafung der Adligen und des Klerus angeführt. So sagte
am 22. Februar zu Beginn der Gewaltwelle in Tarnów ein Bauer: »der Kai
ser hat es befohlen, der Heilige Vater erlaubt[, die Gutsbesitzer zu töten]«16.
Für die Opfer waren die Ereignisse hingegen ein »galizisches Schlachten«17.
Aus der Sicht des Klerus, die hier am Beispiel des Berichts eines Priesters
aufgezeigt wird, diente die Gewalt nicht der Aufrechterhaltung der kirchli
chen und staatlichen Ordnung, sondern bedeutete vielmehr die vollständige
Abkehr von einer gottgewollten gesellschaftlichen Hierarchie:
Als ich 5 Wochen nach bekannter Räubermörderei nach Laczki zurückkehrte, und
das Volk nach diesen verübten Morden und Räubereien noch in solcher Verblendung
fand, daß es ans Zurückkehren zur christlichen Sittlichkeit gar nicht dachte, auch
seine schändlichen Thaten gar nicht bereute, ja vielmehr an diesem verbrecherischen
Leben Gefallen fand, […] dem Trunke sich täglich ergab, […] so predigte ich […], was
es ist und was es bald werden wird, wenn es nicht wahrhaft zu Gott zurückkehrt, und
die abscheuliche eines vernünftigen Menschen unwürdige Meinung nicht verwirft, als
ob die Regierung alle diese Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten anbefohlen hätte.
[…] Diese Sprache hat die Mörder und Diebe so erzürnt, daß, während einige wei
nend ihre Verblendung erkannten, diese zu murren und zu flüstern, ja endlich laut zu
rufen anfingen: »Wenn der Priester ganz bleiben will, so soll er ruhig sitzen und uns
nicht schmähen«18.
Dieser Bericht steht beispielhaft für die Lage im westlichen Teil Galiziens
im Winter 1846 und verdeutlicht, dass der Wunsch, den Ausnahmezustand
auszukosten und zu verstetigen, indem man auf klerikale Ratschläge gar
nicht erst reagierte, unter der Bauernschaft weit verbreitet war19. Tatsächlich
wurden im Kontext der Unruhen sogar ephemere lokale Bauernrepubliken
ausgerufen, in denen Land unter Bauern verteilt und der Anspruch einer
radikaldemokratischen bäuerlichen Selbstverwaltung artikuliert wurde.
16 Zitiert nach Jan Kracik, W Galicji trzeźwiejącej, krwawej, pobożnej, Krakau 2008,
S. 48.
17 Tim Buchen, Das »Galizische Schlachten« 1846. Die Ermordung Adliger durch
polnische Bauern und die Rolle der Habsburgischen Herrscher im Gemälde Jan
Lewickis, in: Stefanie Schüler Springorum u.a. (Hg.), Bilder kollektiver Gewalt –
kollektive Gewalt im Bild. Annäherungen an eine Ikonographie der Gewalt; für
Werner Bergmann zum 65. Geburtstag, Berlin 2015, S. 243–250.
18 Priester [unbekannter Vornamen] Wrzesniewski, in: Memoiren und Actenstücke
aus Galizien im Jahre 1846. Gesammelt von einem Mähren, Leipzig 1847, S. 19.
19 Siehe auch Gill, Die polnische Revolution; Krzysztof Karol Daszyk u.a. (Hg.), Rok
1846 w Krakowie i Galicji. Odniesienia, interpretacje, pamięć, Krakau 2016; Michał
Śliwa (Hg.), Rok 1846 w Galicji. Ludzie, wydarzenia, tradycje, Krakau 1997. Zum
Forschungsstand siehe auch Buchen, Das »Galizische Schlachten« 1846.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918