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179Kollektive
Gewalt und die religiöse Politisierung von Bauern
lich die bevorstehende Gewalt legitimierten46. Der aus Brzesko stammende,
in den Untersuchungsakten erhalten gebliebene Text wurde offensichtlich
von einem bäuerlichen »pogrom specialist« verfasst 47. Er ist hier vollständig
zitiert, da er die große Bedeutung religiöser Vorstellungen und Rahmungen
für den Konflikt verdeutlicht und einen seltenen Einblick in die rhetorische
Mobilisierung zur physischen Gewalt gewährt.
Hurra! Hurra! Auf die Juden. Wenn schon in ganz Galizien, dann werden auch wir uns
nicht blamieren und die stinkende Bande verprügeln und von hier vertreiben, auf!, die
Dreschflegel, Sensen und Hacken auf den Wagen, sollen sie arbeiten wie alle anderen.
Bis jetzt haben die Juden nichts gegeben. Ihr habt das Blut unseres Erlösers vergossen,
unser Blut habt ihr vergossen, unser Land, unser Volk habt ihr beklaut, bereichert euch
an unserer Arbeit, überall wimmelt es von euch. Geht schon nach Palästina, da ist euer
Messias. Und daher weg mit Pessach, wir verachten euch, so wie Gott euch verdammt
hat. Wir werden nicht aufhören zu schlagen und Feuer zu legen, bis ihr nicht mehr zu
sehen seid. Mit Dynamit jagen wir euch in die Luft und ihr werdet wie Frösche herun
terfallen. Hurra, Brüder, mit Hurra auf die Juden, Hurra!!!
Der Heilige Vater hat die Erlaubnis für alles erteilt, was die Juden unter den Katholi
ken verjagt! Versammeln wir uns, ihr wisst schon wann, vergesst den Jahrmarkt nicht.
Hurra! Hurra! Hurra48!
In seinem appellativen Duktus und raschen Wechsel von Adressaten, Auf
forderungen und Behauptungen wirkt der Text wie die Verschriftlichung
einer improvisierten und emotionalen Ansprache, die sich gleichzeitig an
die christlichen Brüder, d.h. die potenziellen Mittäter, als auch mittels Dro
hungen an die zukünftigen Opfer, hier: die Juden, richtet. Die Vorwürfe des
Gottesmords, der Unproduktivität und parasitären Wirtschaft waren feste
Bestandteile einer alten und religiös begründeten Feindschaft gegen Juden.
Auch der Verweis auf Palästina und die Nennung des jüdischen Messias zei
gen das Primat religiöser Weltaneignung. Es ist zu vermuten, dass der Autor
mit dem politischen Programm des Zionismus vertraut war. Er wurde in den
Bauernzeitungen immer wieder erklärt und befürwortet, konnte zugleich
in eine traditionelle, volksfromme Erzählung integriert werden49. Palästina
46 CDIAL 146/4/3124.
47 Als »pogrom specialist« bezeichnet Paul Brass Akteure, die den Übergang vom Spre
chen zur Tat herstellen, also einen Beitrag zur Ansammlung einer gewaltbereiten
Gruppe leisten und Einzelne dazu bewegen, physische Gewalt anzuwenden und
damit die Hemmungen in der Gruppe zu senken. Siehe auch die Einleitung in Paul
R. Brass (Hg.), Riots and Pogroms, Basingstoke 1996, S. 1–55.
48 CDIAL 146/4/3124.
49 In der Zeitschrift Przegląd Społeczny in Lemberg hatten Mitte der 1880er Jahre
maßgebliche Akteure der später gegründeten populistischen Bauernpartei (SL),
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918