Page - 184 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 184 -
Text of the Page - 184 -
184 Tim Buchen
Aussagen und Anzeigen die juristische Verfolgung der Gewalttäter. Aber sie
vermieden es bewusst, Schadenersatz von den Verurteilten, meist mittello
sen Bauern, zu verlangen. Der Gerechtigkeit sollte genüge getan werden; dem
Vorwurf der Vorteilsnahme wollten sie sich nicht aussetzen. Es waren häufig
wohlhabendere jüdische Gemeinden oder Individuen im übrigen Habsbur
gerreich, die ihren Glaubensgenossen durch Spenden halfen.
Die Ereignisse in Galizien, vor allem der verhängte Ausnahmezustand
und die daran anschließenden Repressionen gegen jene politischen Parteien,
deren Angebot sich direkt an die Bauern richtete, wurden anschließend aus
führlich im Wiener Reichsrat debattiert. Doch außer dem jüdischen Abge
ordneten im konservativen Polenklub Emil Byk ging niemand auf das erlebte
Leid der galizischen Juden ein. Die Sozialdemokratie geißelte die staatlichen
Übergriffe bei der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, und der anti
semitische Abgeordnete Pater Stojałowski erklärte die Juden aufgrund ihrer
Ausbeutung der Bauern zu den Verursachern und durch den Ausnahmezu
stand letztlich zu den Nutznießern der Exzesse:
Demgegenüber constatiere ich, dass Gott sei Dank unsere Partei schon
über 20 Jahre thätig ist und durch diese Zeit wohl immer gegen die Juden
gekämpft hat und immer antisemitisch war, aber nie die Juden gehaut hat.
Wenn es also zu Krawallen kam, so war es nicht unsere Partei, die dazu das
Volk ermuntert oder aufgehetzt hat, sondern es waren die nationalen und
confessionellen Brüder des Herrn Dr. Byk selbst …56.
In das gleiche Horn stieß die antisemitische Wiener Satirezeitschrift
Kikeriki, die in Karikaturen die Unschuld der durch Juden ausgebeuteten
Bauern darstellte und Juden als die eigentlichen Räuber bezeichnete57. Ins
gesamt nutzte die antisemitische katholische Presse die antijüdischen Vor
kommnisse, um noch intensiver für eine dauerhafte und konsequente Tren
nung der jüdischen und christlichen Sphären zu werben. Sie vereinnahmte
die Gewalthandlungen in ihrem Sinne und forcierte die Ethnisierung der
Differenz zwischen Christen und Juden.
Zusammenfassung
Die Untersuchung beider Gewaltwellen zeigt die wichtige Rolle religiö
ser Mobilisierung für den Ausbruch. Im Vergleich der beiden maßgeblich
durch den Klerus und eine Umkodierung der religiösen Identität beeinfluss
56 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Wiener Reichsrats: Sten.
Prot. AH 21. Sitzung der XV. Session am 22. November 1898, S. 1481, URL: <http://
alex.onb.ac.at/cgi content/alex?aid=spa&datum=0015&size=45&page=240>
(24.06.2019).
57 Siehe auch Unowsky, The Plunder.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918