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Vor 1918
Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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186 Tim Buchen wurde. Die Organisation der Gewalt und ihr karnevalesker Charakter sowie der Zeitpunkt der Fasten­ bzw. Osterzeit repetierten und festigten alte volks­ fromme Praktiken und Wissensbestände. All diese Faktoren belegen die tiefe Verwurzelung der Gewalt in der reli­ giösen Sphäre. Aber in welchem Sinne diente die kollektive Gewalt religiösen Zielen, versuchte sie religiöse Vorstellungen durchzusetzen oder zu verteidi­ gen? Im Jahr 1846 war davon kaum etwas zu sehen. Im Jahr 1898 jedoch hat­ ten klerikale Akteure die Politisierung der Religion derart vorangetrieben, dass das religiöse mit dem politischen Bekenntnis in eins zu fallen schien. Die Rhetorik der Wahlkämpfe und Leitartikel brachte manichäische Kon­ stellationen und den Kampf gegen den Antichristen in die Welt der Politik. Die apokalyptischen Äußerungen und die magische Weltsicht der Bauern, die mit physischer Gewalt die vermeintliche Allmacht der Juden zu brechen glaubten, scheinen diese religiöse Dimension in den Gewaltakten zu belegen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die »Exzendenten« keinesfalls die Agenda der Agitatoren in die Tat umsetzten, zumal es keinen Aufruf zur Gewalt von klerikaler Seite gab. Vielmehr nutzten sie die unterschiedlichsten Zeichen und Gelegenheiten, um den verbreiteten Wunsch nach Abrechnung, Herabsetzung, Bereicherung und Berauschen umzusetzen. Materielle Inte­ ressen waren nahezu überall von großer Bedeutung, auch wenn sie häufig eingebettet waren in Vorstellungen von einer christlichen moralischen Öko­ nomie. Zweifellos trug die Gewaltwelle dazu bei, die religiöse Differenz in einen politischen und ethnischen Gegensatz zu überführen und damit letzt­ lich die Nationalisierung der Lebenswelt voranzutreiben. Es wäre jedoch ein voreiliger Schluss, aus der Verschiebung der Opfer­ gruppe bäuerlicher Gewalt vom ständischen hin zum religiösen und ethni­ schen »Anderen« zwischen 1846 und 1898 eine Einbahnstraße in Richtung Ethnonationalismus zu konstatieren. Denn als 1918 tatsächlich ein weit­ reichender Umbruch erfolgte, Kaiser und Zar verjagt wurden und mit den Bolschewisten eine »gottlose« Regierung an die Macht kam, die Land ver­ sprach, kam es auch in Galizien erneut zu bäuerlicher Gewalt, die Elemente sowohl von 1846 als auch von 1898 in sich trug58. Mit dem Zerfall staatlicher Ordnung wurden erneut Juden herabgesetzt und bisweilen ermordet. Aber dieses Mal traf es auch die Großgrundbesitzer und polnischen Vertreter der staatlichen Ordnung. Galizische Bauern eigneten sich Wälder, Wiesen und Felder an und riefen Bauernrepubliken aus, die nun Anleihen beim Selbstbe­ stimmungsrecht der Völker, bei Vladimir Lenin und Woodrow Wilson nah­ men und zugleich die lokalen Traditionen bäuerlicher Selbstermächtigung 58 Siehe auch William W. Hagen, Anti­ Jewish Violence in Poland, 1914–1920, Cam­ bridge 2018.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Title
Glaubenskämpfe
Subtitle
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Editor
Eveline Bouwers
Publisher
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Date
2019
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Size
15.9 x 23.7 cm
Pages
362
Keywords
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Categories
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