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190 Katharina Stornig
dem Brief an die Generaloberin in Europa, dass sie stets in Einklang mit
den Vorgaben ihres religiösen Vorgesetzten auf Tumleo, des Apostolischen
Präfekten Eberhard Limbrock, gehandelt habe5. Als Beweis für diese Aussage
legte sie ihrem Brief einen Zettel bei, auf dem Limbrock drei Bibelstellen für
sie notiert hatte, welche die körperliche Züchtigung von Söhnen nicht nur
legitimierten, sondern als Ausdruck paternalistischer »Liebe« sogar forder-
ten6. Schließlich können wir dem Schreiben entnehmen, dass Limbrock die
zitierten Bibelstellen ausdrücklich auf Schwester Valerias Arbeitsgebiet auf
Tumleo
– den Unterricht und die Erziehung indigener Mädchen
– übertragen
hatte, indem er ergänzte: »Dasselbe gilt natürlich auch oder vielleicht noch
mehr für Töchter, deren nur selten in der hl. Schrift Erwähnung geschieht«7.
Wenngleich der Fall mit dieser Vorgabe »von Oben« für Schwester Valeria
weitgehend beendet war und die Kritik an ihren Erziehungs- und Unter-
richtsmethoden – zumindest in der überlieferten Korrespondenz – wieder
verstummte8, werfen die gewalttätigen Erziehungsmethoden in einer Mis-
sionsschule auf einer kleinen Insel in Deutsch-Neuguinea bzw. die Kritik
an denselben doch grundlegende Fragen über das Verhältnis von Religion,
Kindheit und Gewalt auf: Welche Rolle spielte Religion in der Motivation,
Legitimation und Anwendung von Gewalt durch katholische Missionare
und Missionsschwestern gegenüber indigenen Kindern im kolonialen Neu-
guinea? Welche Rolle spielten Gewalt und Zwang im missionarischen Den-
ken und Handeln insgesamt? Was war spezifisch »religiös« oder »katholisch«
an den Handlungen von und Debatten über Gewalt auf Tumleo?
Der Beitrag untersucht diese Fragen am Beispiel der Interaktion zwi-
schen deutschen katholischen Missionaren und Missionsschwestern und
indigenen Kindern, Männern und Frauen im kolonialen Neuguinea um die
Jahrhundertwende. Durch die Analyse diverser Quellen (Briefe, ethnogra-
fische Abhandlungen und Artikel) soll untersucht werden, wie katholische
Akteure und Akteurinnen in der spezifischen Missions- und kolonialen
5 Siehe Sr.
Valeria Dietzen, 11.
Dezember 1902, in: AG
SSpS PNG 6201, Korrespondenz
1899–1910.
6 Unter den gelisteten Sprüchen war u.a. die bekannte Passage aus dem biblischen
Buch der Sprüche (Spr. 13,24), die den Verzicht von Gewalt in der Erziehung als feh-
lende Liebe kritisierte: »Wer die Rute spart, hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat,
hält ihn beständig unter der Rute«. Siehe den beigelegten Zettel, Sr. Valeria Diet-
zen, 11.
Dezember 1902, in: AG
SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910. Für eine
theologische Auseinandersetzung mit den zitierten Passagen, siehe auch Bruce K.
Waltke, The Book of Proverbs. Chapters 1–15, Grand Rapids 2004.
7 Sr. Valeria Dietzen, 11. Dezember 1902, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz
1899–1910.
8 Die Debatten waren auch deshalb zurückgegangen, weil einige der Kritikerinnen
in das neu etablierte Frauenkloster der Dienerinnen des Heiligen Geistes im etwa
300 Kilometer entfernten Monumbo versetzt wurden; vgl. Stornig, Sisters Crossing
Boundaries, S. 139.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918