Page - 197 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 197 -
Text of the Page - 197 -
197Religion,
Kindheit und Gewalt im kolonialen Neuguinea um 1900
herzustellen, was sie als einen geordneten und disziplinierten Unterricht
verstand und anstrebte. So behauptete sie z.B. in einem Brief vom Sommer
1900, dass ihre strengen (allerdings an der Stelle nicht näher ausgeführten)
Erziehungsmethoden zu einem besseren Betragen der Kinder in der Missi-
onsschule auf Tumleo geführt hätten: »Die Kinder machen mir viel Freude
durch ihre Aufführung. Sie gehorchen mir auf’ s Wort. Anfangs zögerten sie
noch wenn ich einen Befehl gab. Das ließ ich aber nicht gelten; jetzt ist dieses
Übel beseitigt. Wo sie mir eine Freude bereiten können, tun sie es«32.
Die Passage verweist neben einem gewissen Stolz über das (erzwunge-
nermaßen) »gute« Betragen der Kinder vor allem auf ein autoritäres Erzie-
hungsideal und die damit einhergehende Forderung nach Gehorsam. Bei-
des war damals auch in katholischen Kreisen im Kaiserreich weit verbreitet.
Gehorsam galt vielen Gläubigen als eine spezifisch katholische Tugend,
welcher sie erheblichen sozialen und religiösen Wert als ordnungsstiftendes
und Gemeinschaften regelndes Prinzip beimaßen33. Die Wertschätzung von
Autoritarismus und Gehorsam war freilich gerade auch bei Ordensleuten zu
finden, welche sich durch ihr Gelübde selbst zu einem solchen Leben ver-
pflichtet hatten34. Auch in Kaiser Wilhelmsland wurde Gehorsam großge-
schrieben; so bezeichnete ihn ein Missionar z.B. als »Mutter und Lehrerin aller
Tugenden«35. Zudem muss bei der Interpretation der oben zitierten Passage
berücksichtigt werden, dass körperliche Züchtigung einen festen Bestandteil
in der christlichen Erziehungstradition darstellte. »Der Stock« wurde in vie-
len zeitgenössischen Missionsschulen als wichtiges Erziehungsmittel angese-
hen und kam offenbar weitgehend unhinterfragt zum Einsatz36. Auf Tumleo
32 Sr.
Valeria Dietzen, 21.
Juni 1900, in: AG
SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910.
33 Für das katholische Konzept von Gehorsam im frühen 20.
Jahrhundert, siehe Joseph
Delany, Obedience, in: The Catholic Encyclopedia, hg. v. Robert Appleton Com-
pany (1911), URL: <http://www.newadvent.org/cathen/11181c.htm> (20.09.2018).
34 Alle Dienerinnen des Heiligen Geistes legten die drei Gelübde der Armut, des Gehor-
sams und der Keuschheit ab.
35 Franz Vormann, Die Mission in Monumbo, in: Steyler Missionsbote 8 (1905),
S. 117–119, hier S. 119.
36 Für die christliche Tradition der körperlicher Züchtigung, vgl. Edmund Herm-
sen, Faktor Religion. Geschichte der Kindheit vom Mittelalter bis zur Gegenwart,
Köln u.a. 2009, S. 124–134. Die Normalität des Einsatzes des »Stocks« in den Mis-
sionsschulen wird vor allem dadurch ersichtlich, dass dieser relativ offen erwähnt
wurde und nicht legitimiert werden musste. Auch finden sich wiederholt Redewen-
dungen (z.B. den »Stock schmecken« oder »das Kleidchen ausklopfen«), welche kör-
perliche Züchtigung verharmlosten; vgl. Fn. 41, 43 und 46. Für die evangelischen
Missionsschulen in Ostafrika, siehe auch Armin Owzar, Erziehung zur Ebenbürtig-
keit? Ostafrikanische Schülerinnen und Schüler auf und in Menschenbildern evan-
gelischer Missionare um 1900, in: Judith Becker / Katharina Stornig (Hg.), Men-
schen – Bilder – Eine Welt? Ordnungen von Vielfalt in der religiösen Publizistik um
1900, Göttingen 2018, S. 207–231, hier S. 217.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918