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218 Sean Farrell
sich beim Zusammenstoß mit den Steinen am vorderen Zugende. Bei der
Kollision wurde Enniskillen aus dem Zug geschleudert, kam aber mit leich-
ten Verletzungen davon. Der angebliche Mordversuch am Oranierführer war
damit gescheitert.
Das konfessionelle Motiv gewann an Plausibilität, als zwei Tage später
sieben Bahnarbeiter inhaftiert wurden. Alle Verdächtigen waren irische
Katholiken: die Arbeiter Hugh und William Harkin, Rory Murphy, Fran-
cis McMahon, William Flanagan, John Moran sowie den Steinmetz William
Lynch. Die Männer hatten zu einem von der Eisenbahngesellschaft nahe des
Unfallortes abgestellten Trupp gehört, der die sichere Durchfahrt des Zuges
gewährleisten sollte. Sie wurden festgenommen, nachdem bei der Polizei
Meldungen eingegangen waren, dass sie in einer örtlichen Kneipe gedroht
hätten, den Zug zum Entgleisen zu bringen. Aller konzertierten Versuche
zum Trotz, im Laufe des darauffolgenden Dreivierteljahres die Schuld der
sieben Verdächtigen nachzuweisen, kamen Regierungsbeamte ebenso wie
ein nur aus Protestanten bestehendes Schwurgericht zu dem Schluss, dass
lediglich Indizien vorlagen, was für ein Strafverfahren nicht ausreichend sei.
Dementsprechend wurden die Männer im Juli 1855 aus der Haft entlassen,
zur Überraschung der meisten und zur Freude vieler Beobachter. Niemand
sonst wurde der Tat bezichtigt2. Der Vorfall von Trillick verschwand im
weiteren Verlaufe der 1850er Jahre aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die
Gemüter erhitzten sich nunmehr an den Unruhen in Belfast 1857 und dem
Aufstieg der Irisch-Republikanischen Bruderschaft3. Doch in den Annalen
der Oranier und den Memoiren der Grafenfamilie Cole wurde die Erinne-
rung an den Bahnfrevel von Trillick sorgfältig gepflegt. Im späten 19. und
frühen 20. Jahrhundert tauchte der Vorfall hin und wieder auf, wenn unio-
nistische Politiker unter Verweis auf ihn die Gegnerschaft zu irischen Auto-
nomiebestrebungen, der »Home Rule«, zu mobilisieren versuchten4.
2 Die Schilderung der Vorgänge stützt sich auf die folgenden Quellen: Belfast Daily
Mercury, 18.
und 20.
September 1854; Belfast News-Letter, 18.
September 1854; Dub-
lin Evening Mail, 18. und 20. September 1854; Northern Whig, 19. September 1854;
Liverpool Mail, 23. September 1854; Galton, Report on the Enniskillen and Lon-
donderry Railway. Bis dato liegt nur eine wissenschaftliche Untersuchung der Ent-
gleisung bei Trillick vor, nämlich Desmond Fitzgerald, The Trillick Derailment
1854, in: Clogher Record 15 (1994), H. 1, S. 31–47.
3 Vgl. Mark Doyle, Fighting like the Devil for the Sake of God. Catholics, Protes-
tants and the Origins of Violence in Victorian Belfast, Manchester 2009, S. 76–106;
Matthew Kelly, New Perspectives on the Irish Republican Brotherhood, in: Irish
Historical Studies 35 (2007), H. 109, S. 380–384.
4 Nancy, the Countess of Enniskillen / Florence Court, My Irish Home, Monaghan
1972, S. 26f.; Rev. Abraham Dawson, Annals of Christ Church (unveröffentlichtes
Manuskript, 1858), S. 166–168.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918