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230 Sean Farrell
[I]ch schäme mich für mein Land«33. Solcherart emotionalisierende Sprache
war nichts Neues im Repertoire der Konservativen und Ultras, denen es im
Irland der 1850er Jahre nicht an Windmühlen mangelte, gegen die zu kämp-
fen war. Doch die dramatische Geschichte eines mittels der Eisenbahn ver-
suchten Attentats erhöhte den rhetorischen Einsatz. Das schiere Grauen, das
von dieser Havarie im Westen der Grafschaft Tyrone ausging, war hervorra-
gend geeignet, die Anhängerschaft in Belfast, Derry und darüber hinaus in
der ganzen Provinz zu mobilisieren.
Andere Autoren legten den Akzent auf eine Gegenüberstellung neuerer,
fortschrittlicher Technologien mit der reaktionären Unvernunft konfessio-
neller Parteibildung, um sowohl die Barbarei der Angreifer als auch die von
den Oraniern ausgehenden Provokationen zu verurteilen. Liberale Zeitungen
schossen sich dabei insbesondere auf den Earl of Enniskillen und seine ora-
nischen Anhänger ein und hielten ihnen vor, die neueröffnete Eisenbahn in
den Dienst ihrer rückständigen und irrationalen Interessen zu stellen. James
Simms reagierte gewohnt schroff und wies die Schuld am Frevel unumwun-
den den Machthabern und Meinungsführern von Derry und Fermanagh zu,
die »durch ihren Hang zu albernen Aufführungen den Ungebildeten einen
Anlass zur Barbarei geben, ja, diese absichtlich dazu anstacheln«34. Aus
anderer Perspektive, aber mit vergleichbarer Stoßrichtung, schrieb die Times:
»Wir wollen unumwunden zugeben, dass die Demonstration der Enniskil-
len-Leute und der Handwerksgesellen von Derry ein törichtes Bubenstück
war, wie es modernen Gedanken völlig fremd sein müsste«. Die Zeitung
fügte hinzu, dass dies freilich keinen Anschlag rechtfertige, denn nicht jeder
»politische Wirrkopf« habe den Tod verdient35. Ihrerseits nahm die ultrapro-
testantische Presse die Gegenüberstellung von Alt und Neu bei Trillick zum
Anlass, die Rückständigkeit der ländlichen Katholiken Irlands zu betonen.
In Opposition zu den Oraniern
Der ultraprotestantische Topos, wonach sich in den Vorgängen von Trillick
ein weiter gefasstes Barbarentum der katholischen Iren spiegelte, bot einen
Anknüpfungspunkt für katholische wie liberale Reaktionen. In der Zeitung
The Ulsterman machte sich Dennis Holland lustig über jene, die im Unfall
eine papistische Verschwörung ausmachen wollten. Kein guter Katholik
könnte derlei tun, schrieb er, und rief die Katholiken vor Ort dazu auf, die
Ermittlungen zu unterstützen – ungeachtet ihres Widerwillens gegen die
33 Belfast News Letter, 20. September 1854.
34 Belfast Daily Mercury, 20. September 1854.
35 Dublin Evening Mail, 22. September 1854.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918