Page - 233 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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233Der
Bahnfrevel von Trillick
bedient hätten, »um Fanatismus und Parteienhass anzufachen«. Der Chefre-
dakteur der Nation, der prominente Nationalist und Agrarreformer Gavan
Duffy, lenkte das Augenmerk auf die Unverantwortlichkeit protestantischer
Extremisten, die lediglich zu konfessioneller Zwietracht anstiften wollten44.
Diese Argumentation gewann an Überzeugungskraft, als am 29. Septem-
ber 1854 Führungspersönlichkeiten der Oranier zu einer protestantischen
Kundgebung in Belfast aufriefen, auf welcher abermals die Vorgänge von
Trillick behandelt werden sollten. Ein breites Spektrum liberaler, katholi-
scher und nationalistischer Blätter zeigte sich der Politisierung des Unglücks
überdrüssig und hielt der Führung der Oranier vor, inmitten eines Augen-
blicks der Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten bei der eige-
nen Basis ihr politisches Kapital vermehren zu wollen45. Mit Blick auf eine
weitere in Dublin geplante Veranstaltung drückte sich Dennis Holland
gewohnt unverblümt aus. Er beklagte, dass »konfessionelle Raufbolde und
Rädelsführer mitsamt ihrer Schar fanatisierter Tölpel« verstanden hätten,
sich das Unglück von Trillick zunutze zu machen; ihm graute vor einem wei-
teren Aufmarsch in Dublin46.
Die publizistischen Anstrengungen beschränkten sich also keineswegs
darauf, eine »dichte Beschreibung« der Vorgänge des Unglückstags zu liefern.
Vielmehr wurde Trillick eingebettet in Narrative, die in ihrer Schilderung
oranischer Gewalt und Provokation viel weiter ausholten. Ein direkter Bezug
wurde etwa zu Unruhen gesehen, die unlängst Newtownlimavady, einen
Marktflecken etwa 27 Kilometer östlich von Derry, heimgesucht hatten.
Auslöser war ein Vorfall Anfang September, als eine Gruppe von Oraniern
auf Katholiken losging, die gerade einen Gottesdienst der Redemptoristen-
Mission verließen. Es war zu mehreren Verletzten gekommen, und angeblich
kam in der Stadt kein katholisches Haus ohne zerbrochene Fensterscheiben
davon. Der Weekly Telegraph zog einen Vergleich zur Gewalt der amerika-
nischen »Know-Nothing Party«, hatte doch ein konservativ-evangelikaler
Prediger kürzlich jene antikatholische Bewegung gelobt47. Im Laufe der fol-
genden Monate hob der Ulsterman immer wieder den Kontrast hervor zwi-
schen der scheinbaren Unfähigkeit der Staatsmacht, auch nur einen der an
den Ausschreitungen von Newtownlimavady beteiligten festzunehmen und
der beinahe umgehenden Festnahme der sieben katholischen Bahnarbeiter,
gegen die allenfalls Indizien sprachen. Holland wurde zusehends ungehal-
tener, dass die sieben Männer, dem Ausbleiben belastbarer Beweise für eine
Verschwörung zum Trotz, weiterhin im Gefängnis von Omagh festgehalten
44 The Nation, 23. September 1854.
45 Zwei Beispiele finden sich etwa in Dublin Evening Post, 7. Oktober 1854 und Free-
man’ s Journal, 29. September 1854.
46 The Ulsterman, 22. November 1854.
47 Catholic Telegraph, 9. September 1854.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918