Page - 250 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 250 -
Text of the Page - 250 -
250 Richard Hölzl
Die Missionen kauften an der Küste Sklavenkinder oder bekamen sol-
che zugewiesen, wenn die englische Marine Sklaventransporte aufbrachte,
manchmal auch Frauen oder ganze Familien. Die Zahl der so auch nach Pugu
verteilten Kinder und Frauen stieg beträchtlich, als die britischen und deut-
schen Schiffe im Herbst 1888 eine Blockade des Waffen- und Sklavenhandels
zur See durchsetzten29. Ob die Benediktiner sich der Gefahr bewusst waren,
die gerade mit den Kindern vor dem Hintergrund der Kriegssituation einher-
ging, lässt sich nicht eruieren. Die französischen und englischen Missionen
weigerten sich sie aufzunehmen, um die Kämpfer Abushiris nicht zu provo-
zieren30. Gegen Ende des Jahres waren 40 solcher Kinder im Alter von sechs
bis zwölf Jahren in Pugu, außerdem drei Ehepaare und weitere Erwachsene31.
Ziel der Missionare war es, die Kinder zu erziehen und zu taufen. Sie sollten
sich in christlichen Dörfern ansiedeln und von dort – durch Beispiel und
aktive Evangelisierung
– auf die umliegende Bevölkerung wirken32. Der Küs-
tenbevölkerung allerdings galten die Bewohner als »Sklaven der Wafranza«
(der Missionare)33. Schließlich wurden von diesen unentgeltliche Arbeit und
bedingungsloser Gehorsam erwartet, solange sie sich auf der Mission auf-
hielten. Frei bewegen konnten sich die »Befreiten« schon deshalb nicht, weil
sie die erneute Versklavung befürchten mussten bzw. als Minderjährige der
Vormundschaft der Mission unterstanden. Zudem war von Christendörfern
noch keine Rede, zunächst arbeiteten die ehemaligen Sklaven in den groß-
zügig geplanten und projektierten Gartenanlagen, die Plantagen ähnelten.
Zwar dachten die Missionare nicht daran, Handel zu treiben, aber die Mis-
sion sollte sich selbst versorgen. Für die Benediktiner entsprach dies dem
monastischen Ideal des ora et labora; eine ausgedehnte Landwirtschaft zählte
zu den Charakteristika der Benediktinerabteien. Der feine Unterschied, dass
in europäischen Benediktinerabteien die Mönche selbst arbeiteten und nicht
gerten. Laut Giraud waren Pugu und andere Orte entlang der Karawanenroute
eine Art unmittelbar Peripherie der Küste und in ihren kärglichen Ökonomien auf
diese hin ausgerichtet. Von den irregulären Truppen des Sultans sei ihre Macht
über die Karawanenwege gebrochen worden; Victor Giraud, Les lacs de l’ Afrique
Équatoriale. Voyage d’ exploration exécuté de 1883 à 1885, Paris 1890, S. 52f.
29 Zur Handelsstruktur der Küste, siehe auch Abdul Sheriff, Tanzanian Societies at
the Time of the Partition, in: Martin H. Y. Kaniki (Hg.), Tanzania Under Colonial
Rule, London 1980, S. 11–50; Edward A. Alpers, The Coast and the Development of
the Caravan Trade, in: Isaria Kimambo / Arnold J. Temu (Hg.), History of Tanzania,
Nairobi 1969, S. 35–56.
30 Vgl. Heinz Schneppen, Sansibar und die Deutschen. Ein besonderes Verhältnis,
1844–1966, Berlin 2006, S. 262.
31 Walter, Gottes Treue I, S. 140; Amrhein, Brandopfer, Sp. 456–458.
32 Vgl. John Baur, 2000 Years of Christianity in Africa. An African Church History,
Nairobi 2005, S. 230–232.
33 Dies dürfte den Pugu-Missionaren so nicht bewusst gewesen sein. Erst in späteren
Missionsquellen wird auf diese Perspektive verwiesen; Jahresbericht der Benedikti-
nermission 1906 / 07, ArchOtt Z.1.08.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918