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257Missionare
als Opfer muslimischer Gewalt?
der Feind schon sehr viel zum Zerstören [vorgefunden]: eine schöne Kapelle, ein
geräumiges, wohlgebautes Wohnhaus für die Missionäre und ein zweites für die
Schwestern, ein großes Waisenhaus für 100 Kinder und Asylbedürftige, eine Schule,
ein Gebäude mit Werkstätten verschiedener Handwerke und ein anderes für die Oeko-
nomie; zum Verwüsten zwanzig Morgen urbar gemachtes Land mit jungen Palmen-,
Bananen, Gemüse- und Getreidepflanzungen58.
Der öffentliche Aufruf, den Amrhein an die Unterstützer seiner Mission
und an die Katholiken im Reich (über die Missionszeitschriften des »Afrika-
vereins deutscher Katholiken« und des »Franz-Xaver-Vereins«) verschicken
ließ, unterstrich die Intensität der Gewaltakte durch eine äußerst plastische
Wortwahl. Er schrieb vom »Blutwerk« und »Blutbad« der Angreifer, von den
Getöteten als »Blutzeugen« und »verbluteten Opfer[n]«; sie seien von den
»Messern der wüthenden unmenschlich zerfleischt worden«. Die in der Zeit-
schrift Die katholischen Missionen publizierte Variante des Aufrufs war mit
Amrheins Skizze der Missionsstation in Pugu illustriert – nun nicht mehr
nur eine a priori erstellte Planskizze, sondern eine scheinbar realistische
Abbildung des Verlorenen59.
Amrhein konstruierte eine dreipolige Figurenkonstellation, die katholi-
sche Missionare und Missionarinnen als Verteidiger afrikanischer Frauen
und Kinder gegen muslimische Angreifer stellte. Die Rollen dieser Inszenie-
rung forderten zu einer eindeutigen Parteinahme und emotionalen Positio-
nierung seitens der Leserinnen und Leser auf: christliche Missionare als Hel-
den, fanatische Muslime als Schurken und Afrikaner und Afrikanerinnen als
passive Objekte des Konflikts60. Amrhein kehrte die religiösen Aspekte der
Abushiri-Bewegung hervor, verschwieg die politischen und ökonomischen
Motive und zeichnete eine ethnisch-religiöse Grenze zwischen afrikanischer
Bevölkerung und arabischer Oberschicht, die es in dieser Eindeutigkeit nicht
gegeben hat. Die Angreifer porträtierte er als ortsfremd und unwissend, die
lokale Bevölkerung als unwissend, aber wohlwollend. Die getöteten Missio-
nare und Missionarinnen wurden so zu Märtyrern der christlichen Sache; sie
waren nicht Teil eines konkreten, historisch verorteten Konflikts, sondern
Opfer einer übergeordneten Auseinandersetzung zwischen christlicher Zivi-
lisation und vermeintlicher heidnischer Primitivität bzw. islamischer Deka-
denz61. Unter den daheimgeblieben Mönchen und Schwestern in St. Ottilien
rief er damit fast euphorische Stimmung hervor, die einerseits den Grad
der Romantisierung missionarischen Lebens und andererseits den Kult der
58 Ebd.
59 Vorgänge in Ostafrika, in: Die katholischen Missionen (1889), S. 80f.
60 Zu diesen erzählerischen Mechanismen, siehe auch Fritz Breithaupt, Kulturen der
Empathie, Frankfurt a.M. 2009.
61 Amrhein, Bericht und Aufruf, 16. Januar 1889, ArchOtt Z.1.06.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918