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260 Richard Hölzl
sion und musste erst von Missionsaktivisten überzeugt werden. Der Bene-
diktinerabt Amrhein etwa erschien auf dem Freiburger Katholikentag mit
mehreren Schülern aus Kamerun, arrangierte einen Fototermin Windthorsts
mit den Duala-Jungen Josef Timba und Mbanga Akwa und überredete den
Zentrumsführer Taufpate Akwas zu werden71.
Lavigerie hatte schon 1886 auf diplomatischem Wege vor der »Ausmer-
zung aller Europäer« durch »fanatische« Muslime im Hinterland der Swa-
hili-Küste gewarnt72. Die Kampagne im Frühjahr und Sommer 1888, die
in Deutschland auf dem Katholikentag im September ihren Höhepunkt
erreichte, fand nur wenige Monate vor den hier beschriebenen Gewalter-
eignissen statt. Diese zeitliche Nähe ist kein Zufall – schließlich waren die
Ausschreitungen unmittelbare Konsequenz der kolonialen Eroberungspro-
zesse, die in beinahe ganz Afrika südlich der Sahara abliefen. Lavigeries
eigene Missionsgesellschaft, die »Mission d’ Afrique«, war seit 1886 in einen
komplexen Konflikt um die Herrschaft im Königreich Buganda nördlich des
Viktoriasees verwickelt. 1886 waren 43 Christen ermordet worden. König
(Kabaka) Mwanga, der sich durch die vorrückenden europäischen Mächte
bedroht sah, entschloss sich die Christen am Hof zu entfernen, da er Kolla-
boration und Insubordination fürchtete. Christen außerhalb des Hofes blie-
ben verschont. Die »Mission d’ Afrique« in Algier stellte diesen Gewaltakt als
Ergebnis der Beeinflussung eines afrikanischen Despoten durch muslimi-
sche Agitatoren dar und forderte die europäischen Mächte zum Eingreifen
auf 73. Damit war die rhetorische Mischung aus Islamkritik, Antisklaverei-
Kampagne und christlicher Zivilisation etabliert, die auch in der medialen
Rahmung des deutschen Kolonialkriegs 1888 / 89 wirkte.
Die Formulierung und Instrumentalisierung antiislamischer Stereotypen
war ein zentraler Aspekt der religiös-politischen Ideologie der »christlichen
Zivilisation«, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte74. Im Zuge
der Sakralisierung des Zivilisationsbegriffs durch beide Missionen wurde
lange dort eine solche Verhöhnung jedes christlichen, ja jedes menschlichen Gefühls
stattfindet«; Ludwig Windthorst, Redebeitrag, in: Verhandlung des Deutschen
Reichstags am 26. Januar 1889, URL: <https://www.reichstagsprotokolle.de/Band3_
k7_bsb00018653.html> (14.12.18), S. 304.
71 Zur Geschichte dieser Schüler; siehe auch Robbie Aitken, Education and Migra-
tion. Cameroon Schoolchildren and Apprentices in Germany, 1884–1914, in: Mischa
Honeck u.a. (Hg.), Germany and the Black Diaspora. Points of Contact 1250–1914,
New York 2013, S. 1–16.
72 Schreiben des deutschen Konsuls in Tunis an Fürst Bismarck, 14. Juni 1886, Anlage:
Notiz Lavigeries, o.D., BA R1001/849.
73 Vgl. Renault, Cardinal Lavigerie, S. 260–262, 277–279. Die Berichte der Missionare
vor Ort beschrieben die Muslime in Uganda jedoch als selbst von Mwanga bedroht.
74 Zur medialen Praxis des stereotyping; vgl. Stuart Hall, West and the Rest. Dis-
course and Power, in: Ders. / Bram Gieben, Formations of Modernity, Oxford 1992,
S. 276–331, hier S. 308.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918