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262 Richard Hölzl
schen Zivilisationsbegriff als »christliche Zivilisierungsmission« umformu-
lierten77. Bismarck griff die neue Rhetorik im Herbst 1888 auf. Als er den
englischen Premier Lord Salisbury Ende Oktober 1888 auf die »gemeinsame
Pflicht« hinwies, den Sklavenhandel zu unterbinden, und »[a]lle an der För-
derung christlicher Gesittung beteiligten Nationen« in diesem Sinne aufrief,
hielt er sich beinahe wortgleich an die Botschaften, die Lavigerie wenige
Monate zuvor in die europäischen Hauptstädte getragen hatte78.
Die semantische Transformation lässt sich auch in der Innenpolitik aufzei-
gen: Am 22. November 1888 sprach Kaiser Wilhelm II. zur Reichstagseröff-
nung von der Aufgabe, »jenen Erdteil [Afrika] für die christliche Gesittung
zu gewinnen« und den Sklavenhandel zu beenden79. Schon am 23. Oktober
1888 hatte Bismarck die regierungsnahe Presse angewiesen, die ostafrikani-
sche Frage als Frage des »Sklavenhandel[s]« zu diskutieren, um »das Interesse
der öffentlichen Meinung für die Antislavery-Bestrebungen« zu gewinnen80.
Ende September
– die Macht des Sultans von Sansibar war weitgehend gebro-
chen – genehmigte Bismarck die Sicherung der Küstenstädte durch Mari-
nekreuzer sowie eine Blockade des Küstenhandels. Noch Anfang Oktober
verweigerte er aber ein militärisches Eingreifen auf dem Festland
– mit Hin-
weis auf die öffentliche Meinung und fehlende Mehrheit im Parlament81. Am
14. Dezember 1888 deutete dann Staatssekretär Herbert von Bismarck im
Reichstag den neuen moralischen, als humanitär markierten Kurs der Ost-
afrika-Politik an: »So lange die Greuel des Sklavenhandels […] bestehen, so
lange ist es auch nicht möglich, Africa der Gesittung, dem Christenthum und
der Kultur zu erschließen«82. Er nahm die erwähnte Resolution Windhorsts
auf, die Lavigeries Forderungen ins Parlament trug und die Reichsregierung
der Legitimierung der Kolonisierung Libyens; vgl. Amalia Ribi Forclaz, Humani-
tarian Imperialism. The Politics of Anti-Slavery Activism, 1880–1940, Oxford 2015,
S. 17–20.
77 Zum Vergleich protestantischer und katholischer Interventionen im deutschen Kolo-
nialdiskurs; siehe auch Richard Hölzl / Karolin Wetjen, Negotiating the Funda-
mentals? German Missions and the Experience of the Contact Zone, 1850–1918, in:
Rebekka Habermas (Hg.), Negotiating the Secular and the Religious in the German
Empire. Transnational Approaches, New York u.a. 2019, S. 196–234.
78 Bismarck am 21. und 23.10.1888, zitiert nach Schneppen, Sansibar, S. 245. Lavigerie
hatte 1886 und 1888 Bismarck in Briefen zum Eingreifen gegen den Sklavenhandel
aufgefordert; Félix Klein, Cardinal Lavigerie und sein Afrikanisches Werk, Straß-
burg 1893, S. 228–234. Hervorhebung durch den Autor.
79 Kaiser Wilhelm II, zitiert nach Schneppen, Sansibar, S. 249.
80 Otto von Bismarck, zitiert nach Fritz F. Müller, Deutschland – Zanzibar – Ostaf-
rika. Geschichte einer deutschen Kolonialeroberung 1884–1890, Berlin 1959, S. 401.
81 Vgl. Schneppen, Sansibar, S. 230–233.
82 Herbert von Bismarck, Redebeitrag, in: Verhandlung des Deutschen Reichstags am
14. Dezember 1888, URL: <https://www.reichstagsprotokolle.de/Band3_k7_bsb000
18653.html> (14.12.18), S. 311. Hervorhebung durch den Autor.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918