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278 Julie Kalman
Stellungnahmen von Konvertiten zugunsten der Damaszener Juden über-
ging die katholische Presse in Frankreich und berief sich stattdessen auf
Gestalten wie David Drach, um zu belegen, Verbrechen wie der Ritualmord
würden im Talmud nicht nur gutgeheißen, sondern gefördert. Unter der
Überschrift »Talmudübersetzungen, die den Mord an Christen durch Juden
gestatten« druckte L’ Univers einen Bericht seines Sonderkorrespondenten, in
dem die Damaszener Juden beschuldigt wurden, eine Talmudübersetzung
zu verbergen, von der sie fürchteten, sie würde der nichtjüdischen Welt die
»abscheulichen Blasphemien, welche die Juden wider den Erlöser ausspeien«,
offenbaren32. Die Zeitung kam zu dem Schluss, dass es in Anbetracht aller
Umstände nicht unvorstellbar sei, »dass ein fanatischer Rabbiner die alten
Überlieferungen behalten [habe] und sie in die Praxis umsetzen« wollte33.
Die Damaskus-Affäre und die Juden Frankreichs
Oberflächlich betrachtet lassen die oben zitierten Beispiele nicht darauf
schließen, die Rhetorik der katholischen Presse habe die Juden Frankreichs
im Visier gehabt. Sie sind aber durchaus mitgemeint, wenn bei Drach und
Ratti-Menton von Verschwörungen, Geld und zwielichtigen Sekten die Rede
ist. In den Augen der katholischen Zeitungen standen die französischen
Juden kurz vor einem Verbrechen, dass ebenso groß war wie jenes ihrer
Glaubensbrüder in Damaskus. Als nämlich die Anschuldigungen publik
wurden, schritten prominente Juden in Frankreich zur Verteidigung der in
Damaskus Verhafteten. Sie schrieben in einer konzertierten Aktion Briefe
und betrieben Lobbyarbeit bei den Mächtigen. Solche Aktivitäten setzten sie
der Kritik aus, insbesondere, weil der Vorwurf im Raum stand, hier solle
mit Geld und Einflussnahme Macht ausgeübt werden. Dass französische
Juden öffentlich Sympathie für ihre beschuldigten Glaubensbrüder äußerten,
galt vielen Katholiken bereits als Verbrechen. Die Identifikation mit Juden
in einem fremden Land wurde als öffentliches Bekenntnis, eher Jude denn
Franzose sein zu wollen, gedeutet. Kurzum bezichtigten katholische Zeitun-
gen diese Männer der ungebührlichen Ausübung von Macht und Einfluss
sowie einer nicht minder ungebührlichen Identifikation mit »Ausländern«.
L’ Ami de la Religion et du Roi warnte gar die französischen Juden, sie könn-
ten sich glücklich schätzen, nicht am Maßstab des Betragens ihrer Brüder in
Damaskus gemessen zu werden. Ebenfalls konstatierte die Zeitung, es hätten
mehrere Blätter, sowohl aus Paris als auch in der Provinz, »zu Recht« festge-
stellt, dass »die Anwälte der Juden von Damaskus mit zu viel Inbrunst und
32 L’ Univers, 23. Juli 1840.
33 Ebd., 5. Juli 1840.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918