Page - 281 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 281 -
Text of the Page - 281 -
281Französisch-katholische
Reaktionen auf die Damaskus-Affäre
Thiers, und es war die vermeintliche Macht des Judentums, die diese Einheit
zustande brachte47.
Die Macht des Judentums: Dies war die neue Gefahr, vor der man die
französische Gesellschaft sah. Wenn die Juden schon im fernen Damaskus
sich eines mittelalterlich anmutenden Verbrechens schuldig machen konn-
ten, dann erkannte man in den französischen Juden Verkörperungen eines
Bösen, das weit größeren Schaden anzurichten drohte. Gegen Mitte des
Jahres 1840 hatte die katholische Presse denn auch ihr Augenmerk von den
Vorgängen in Damaskus hin zur Lage in Frankreich verschoben. Thiers’
Anspielung auf jüdische »Mauschelei« gewann nun an Bedeutung, denn
wenn Macht etwas potenziell Gefährliches war, dann war sie in den Händen
so windiger und manipulativer Gestalten wie der Juden ein Werkzeug zum
Bösen. Diese jüdische Macht habe sich in der französischen Berichterstat-
tung über die Damaskus-Affäre erwiesen: Es hieß, die Juden übten Einfluss
auf die Presse aus, insbesondere auf das gemäßigte Journal des Débats. In
diesem Blatt war der erste Bericht aus Damaskus erschienen, in dem lediglich
stand, mehrere jüdischen Familien würden im Zusammenhang mit dem Ver-
schwinden Pater Thomas’ verdächtigt. Sobald sich jedoch abzeichnete, dass
Ratti-Menton und andere dieses Verschwinden nunmehr als einen Fall von
Ritualmord behandelten, machte die Zeitung sich die Sache der Damasze-
ner Juden zu eigen. Leser der katholisch-konservativen Presse waren erzürnt
ob »der schändlichen Begünstigung jüdischer Intrigen und jüdischen Geze-
ters, welche sich bestimmte Pariser Zeitungen, insbesondere das Journal des
Débats, leisten«48. L’ Univers zufolge habe sich das Blatt zum »Moniteur des
Judentums« gemacht und mit seiner Parteinahme für die Juden sowohl die
christliche Moral als auch die Ehre des Vaterlands empört49.
In einem System, in dem sich Reichtum in Macht übersetzen ließ, schlug
dem jüdischen Baron James de Rothschild besonderer Hass entgegen. Er war
der Jüngste unter den fünf Söhnen des Patriarchen Mayer Amschel Roth-
schild und Begründer des französischen Zweigs der Familie. L’ Ami de la Reli-
gion et du Roi galt James als »allmächtiger Mann«, durch dessen Einfluss sich
zunächst das »bedauerliche« Schweigen der Regierung zur Affäre erkläre.
Mit seinem »gewaltigen Kredit« beschütze er die Juden, und das Kabinett
nehme »Rücksicht« auf ihn, bedürften doch die französischen Politiker
»öfters« seiner »beträchtlichen Geldmittel«50. Als Handlanger Rothschilds
47 Thiers zufolge seien die Juden »mächtiger, als sie scheinen wollen«; L’ Ami de la Reli-
gion et du Roi, 6. Juni 1840.
48 L’ Univers, 3. Juli 1840.
49 Ebd., 8. Oktober 1840; La Quotidienne, 13. Mai 1840. Hervorhebung im Original.
Der während der Revolution begründete Moniteur universel war lange Zeit das amt-
liche Verlautbarungsorgan der französischen Regierung.
50 L’ Ami de la Religion et du Roi, 19. Mai 1840.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918