Page - 283 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 283 -
Text of the Page - 283 -
283Französisch-katholische
Reaktionen auf die Damaskus-Affäre
sollte die konservative katholische Presse immer wieder auf die Damaskus-
Affäre zurückkommen, wenn es die Stellung von Juden und Katholiken in
der Julimonarchie zu erörtern galt. Die Affäre war schon längst aus den
Schlagzeilen verschwunden, als L’ Univers die Besprechung einer Talmud-
übersetzung zum Anlass nahm, die Leserschaft an die ewige Fremdheit der
Juden zu erinnern – eine Ansicht, die sich diese ultramontane Zeitung klar
zu eigen machte. Die Juden, schrieb der Rezensent, mochten vielleicht »die
politischen Ansichten und gesellschaftlichen Gebräuche der Völker anneh-
men, die sie an ihre Brust genommen haben«, doch sei damit noch keine
Identifikation mit Frankreich bewiesen. So lange die Juden sich zu einer
geheimnisvollen und undurchdringlichen Religion bekannten, handele es
sich bei ihnen um Fremde54. Es sei also ganz natürlich, dass man ihnen mit
Misstrauen begegnete.
Fazit
Als die Juden Frankreichs im Zuge der Revolution die Bürgerrechte er-
hielten, markierte dies nicht nur für die Juden selbst, sondern auch für die
Nicht-Juden eine Zäsur. Die Emanzipation entzog einer Hierarchie, in der
Katholiken die Welt geordnet hatten, den Boden. Wie auch immer man über
den Paria-Status der jüdischen Bevölkerung dachte, war es doch ein verläss-
licher und stabilisierender Faktor im Ancien Régime gewesen. Nun, da Juden
Rechte und Pflichten der Staatsbürgerschaft teilten, begannen sie, an allen
Bereichen des öffentlichen Lebens teilzunehmen und sich zahlreicher in den
Städten niederzulassen. So galt es für die Franzosen, die Juden gleichsam
von neuem kennenzulernen und die Wirklichkeit emanzipierter Juden in ihr
Verständnis dessen aufzunehmen, was es bedeutete, Franzose zu sein. Was
war das für ein Frankreich, das Juden die Bürgerrechte verlieh? Deckte sich
dieses Frankreich mit den eigenen Idealen? Die Gegenwart der Juden in der
Gesellschaft zu begreifen, war ein wesentlicher Aspekt dessen, was es hieß,
das 19. Jahrhundert zu begreifen. Dies stellte die Kirche vor eine besondere
Herausforderung, denn in dieser Welt musste sie nachgeben, wenn sie nicht
zerbrechen wollte; inmitten häufiger Wechsel des weltlichen Regiments sich
anpassen und doch einer Kernvorstellung Frankreichs treu bleiben55.
Die Julimonarchie suchte einen pragmatischen Kompromiss zwischen
Revolution und Autokratie, der auf einem begrenzten Wahlrecht und
54 L’ Univers, 10. Oktober 1840.
55 Siehe auch Kalman, Orientalizing, Kap. 1. Eine bahnbrechende Untersuchung der
Anpassung einiger Katholiken an das 19. Jahrhundert bietet Carol Harrison,
Romantic Catholics. France’ s Postrevolutionary Generation in Search of a Modern
Faith, Ithaca 2014.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918