Page - 301 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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301Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
Zwar sollte die »große Verheißung« so gut wie alles andere in der Ge-
schichte de Hoyos’ in den Schatten stellen, doch war sie nur eines seiner
vielen ekstatischen Erlebnisse. Stets nahm er dabei eine weibliche Rolle ein,
indem er etwa die Geburtswehen Marias empfand oder Christus als Liebha-
ber ansprach: »beeile dich, meine Freundin, meine Schöne, und komme«41.
Auch er beschritt den Pfad der Opferseele, darin der heiligen Rosa von Lima
nacheifernd, die, wie Alacoque, den eigenen Körper als Werkzeug erlösenden
Leidens eingesetzt hatte. Dieses Erleiden von Schmerz als Selbstopfer fand
seinen Lohn in einer Vereinigung der Herzen mit Jesus, wie auch Alacoque
sie erfahren hatte: »Er verschloss und bedeckte mein unglückliches Herz in
dem seinen« mit »der Süße, den Freuden, der Sanftheit und himmlischen
Köstlichkeiten, die dort mein armes Herz überfluteten, das in jenes göttli-
che Herz eingetaucht war, Ozean des Feuers der Liebe […]«42. Die mimeti-
schen Aspekte in der Geschichte de Hoyos’ liegen auf der Hand, wie auch die
gemeinsamen Motive einer »Erotik des Schmerzes«, also der entrückten, eks-
tatischen Vereinigung mit der leiblichen Gegenwart Christi43. Dies entging
nicht den zahlreichen Gegnern der Kirche, die mystische Erfahrungen als
»Hysterie« pathologisierten und sich einer vorgeblich rationalen, medizini-
schen Diagnose der Dichotomie von Religion und Naturwissenschaft bedien-
ten44. Auch die Hagiographen störten sich an einigen Aspekten, und selbst
die Oberen de Hoyos’ verboten ihm, die »außerordentlichen Bußopfer«45 der
heiligen Rosa nachzuahmen. Seine Geschichte blieb problematisch, und sein
bereits 1895 begonnenes Seligsprechungsverfahren konnte erst 2010 erfolg-
reich abgeschlossen werden.
Seine Hagiographen legten den Akzent auf de Hoyos’ Jugend, Reinheit
und Frömmigkeit; er habe nie eine Regel missachtet. Seine Leiden bewiesen
einfach seine Heiligkeit; sein gepeinigter Leib, dem so viele beunruhigende
41 J. B. Couderc / J. M. Tiedra SJ, El Venerable Padre Bernardo de Hoyos SJ. Primer
Apóstol del Sagrado Corazón de Jesús en España, Vigo 1933, S. 58; zur Verwischung
der Geschlechtergrenzen vgl. Richard Trexler, Gendering Jesus Crucified, in:
Brendan Cassidy (Hg.), Iconography at the Crossroads, Princeton 1990, S. 107–120;
Burton, Holy Tears, Holy Blood, S. 204–209.
42 Couderc / Tiedra, El Venerable P. Bernardo de Hoyos, S. 176f.
43 Vgl. David Morgan, The Embodied Eye. Religious Visual Culture and the Social Life
of Feeling, Berkeley 2012, S. 117.
44 Vgl. Burton, Holy Tears, S.
181–189; siehe auch Harris, Lourdes; Cristina Mazzoni,
Saint Hysteria. Neurosis, Mysticism, and Gender in European Culture, Ithaca 1996.
45 Courderc / Tiedra, El Venerable P. Bernardo de Hoyos, S. 164. Darüber, dass Ala-
coque Erbrochenes aß, heißt es in einer französischen Ausgabe: »Elle triomphe de sa
délicatesse naturelle par des actes héroiques«; Vie de la Bienheureuse Marguerite-
Marie Alacoque. Écrite par elle-même, Paray-le-Monial 1918; eine spanische Aus-
gabe spricht von »su admirable mortificación«; Vida de la Bienadventurada Marga-
rita Maria Alacoque, Madrid 1890; siehe auch S.
128 der deutschen Ausgabe unter der
Überschrift »Sie tut sich heldenhaft Gewalt an«.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918