Page - 305 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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305Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
Akzent gab57. Dies bewirkte nicht nur den Erhalt des Integralismus, sondern
auch seine Transformation, denn durch die Herz-Jesu-Verehrung wuchs
der Integralismus über seine engen monarchistischen und legitimistischen
Ursprünge hinaus. So sprach denn etwa das Vorwort zu einer 1890 in Spanien
erschienenen Biografie Alacoques von den »teuflischen Anstrengungen«,
welche die Französische Revolution unternommen hatte, um »die Frömmig-
keit zu ersticken«. Es sei dies eine Zeit gewesen, da »schon das Tragen seines
heiligen Bildes auf der Brust Anlass genug war, jene, die es trugen, zum Tode
zu verurteilen«, als hätte das Herz aufgrund eines »rätselhaften Instinkts«
gewusst, dass ihrerseits »die Revolution vorausahnte, dass dieser Kultus ihr
größter Feind sein würde«58.
Der Feind ante portas:
Antiklerikale Gewalt und ihre Auswirkungen
Der integralistische Katholizismus nährte sich von Verschwörungstheorien,
zwielichtigen Widersachern und Erzählungen von dunklen Mächten – was
er im Übrigen mit dem Antiklerikalismus gemein hatte. Beide bedurften
eines Feindes, dessen unheilvolles Treiben ein Imaginäres speiste, das durch
die Printmedien verbreitet wurde. In Heiligenlegenden, Zeitungen und Gro-
schenromanen wurden ältere Erzählungen und Kulturmuster bewahrt und
für das Zeitalter der Massenauflagen neu aufbereitet. Die chronologischen
Schübe und Ellipsen sowohl klerikaler wie auch antiklerikaler Maßnahmen
waren textgetrieben, was die hagiographische Tradition des stellvertreten-
den Leidens ebenso belegt wie die antiklerikalen Phantasien, die im Juli 1909
Anschlägen auf Klöster in Barcelona vorausgingen.
Die »Tragische Woche« läutete zwar eine neue Phase in der Geschichte des
spanischen Antiklerikalismus ein, mobilisierte aber Formen der Gewalt, die
weitaus älter waren. Auf mindestens neun Klöster kontemplativer Frauenor-
den wurden Anschläge verübt, darunter die Hieronymitinnen, unter denen
das höchst erfolgreiche Melodram La monja enterrada con vida (Die lebendig
begrabene Nonne, 1886) von Jaume Piquet gespielt hatte. Alte Denkweisen
übertrugen sich auf verschiedenen Wegen, etwa in Form von Gerüchten,
politischer Rhetorik und billigen Heften. Wie auch anderswo wurden bei den
Hieronymitinnen Leichen aus der Krypta hervorgeholt und auf der Straße als
»Beweis« für Folter und Gefangenschaft ausgestellt. Dies waren verbreitete
57 Vgl. Burton, Blood in the City, S. 315; Lannon, Privilege, Persecution, and Pro-
phecy, S. 36–46.
58 Vida de la bienadventurada Margarita María Alacoque, S. XVI–XVII; bezeichnen-
derweise wird als Quelle der französische Messager vom Juli 1879 angegeben.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918