Page - 307 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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307Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
Angreifer fanden in ihnen schlicht die Bestätigung dessen, was die Klischees
und Topoi der antiklerikalen Printkultur ihnen bereits als Wahrheit präsen-
tiert hatten.
Die materiellen Schäden der »Tragischen Woche« wurden mit technischen
Mitteln, insbesondere der Fotografie, aufgezeichnet. Ab 1909 wurden die
zertrümmerten Kirchen und Klöster Barcelonas zu Symbolen eines zwi-
schen abstrakten Mächten ausgefochtenen Kampfes. Manche sahen in ihnen
deutliche Beweise, dass ein revolutionärer Angriff auf die Religion im Gange
war, der nur durch Sühne sowie ein Beharren auf den »Rechten« der Kirche
abzuwehren war. Wie der Sendbote im September 1909 warnte: »Habt keinen
Zweifel, dass dies weder das erste noch das letzte Mal ist«64. Da konnte nur
Buße helfen, etwa in Form des Herz-Jesu-Freitags oder besonderer Anbetun-
gen, die dem Heiligsten Herzen in ganz Spanien zuteil wurde. Als ein Jahr-
zehnt später König Alfonso
XIII. auf dem Cerro de los Angeles vor den Toren
Madrids sein Land dem Herzen Jesu weihte, handelte es sich auch um eine
Zurschaustellung derselben integralistischen Werte65.
Andere jedoch sahen in den ausgebrannten Kirchen ein Sinnbild des
Kampfes zwischen Fortschritt und Reaktion. Beispielhaft hierfür steht etwa
eine Reihe von Bildpostkarten, die Angel Toldrà i Viazo (1857–1956) unter
dem Titel Sucesos de Barcelona anfertigte66. Zu den Bildformeln, derer er
sich bediente, gehören durch eingestürzte Dächer scheinende Lichtstrah-
len, geschmolzene Eisengitter und zertrümmerte Fenster. Diese Bilder sind
zugleich beschreibend und metaphorisch. Auf ehedem »Verstecktes« fiel
nunmehr Licht; die eigentlich ikonoklastische Tat war das »Aufbrechen« der
Kirchen. Das in derart »geöffnete« Kirchen einströmende Licht bezeugte den
Fortschritt und erzählte, wie das Licht der Vernunft Aberglaube und Obs-
kurantismus erhellte. Die Bilder der »Tragischen Woche« erfassten die Plün-
derungen und schufen zugleich deren ikonographisches Gedächtnis. Dabei
half das scheinbare Vermögen der Fotografie, die »Realität« einzufangen,
bestimmte Augenblicke »einzufrieren« und sie von der linearen Folge der
Ereignisse, in der sie geschehen waren, loszulösen.
64 Mensajero del Corazón de Jesús y del Apostolado de la Oración, September 1909,
S. 269, 277f.; ebd. Oktober 1909, S. 365–371.
65 Ebd., Juli 1919, S. 520–534; vgl. Cano, Reinaré en España, S. 84–101.
66 Eine interaktive Karte findet sich bei: Ajuntament de Barcelona-Arxiu Municipal,
Setmana Tràgica: crònica documental, URL: <http://www.bcn.cat/setmanatragica/
mapa.html> (21.01.2019).
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918