Page - 309 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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309Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
Fazit
Die »Tragische Woche« bestätigte die Integralisten in ihrer Überzeugung,
die atheistische Revolution sei die Ausgeburt des Satans und das Ziel des
Säkularismus sei die Zerstörung der Religion. Ähnliches brachte Menéndez
Pelayo gegen das sexenio vor, das er der freimaurerischen Presse zur Last
legte. Die parlamentarischen Verhandlungen bezeichnete er als »keine politi-
sche Debatte, sondern Faustkampf der Gottlosigkeiten und Blasphemien«68.
Vernünftig waren diese Haltungen nicht. Damals wie auch später galt die
Unordnung der Ersten Republik als »Beweis« der antireligiösen Absichten
der »Revolution«, hinter der stets eine geschlossen agierende und verschwö-
rerische Macht vermutet wurde. Doch auch die antiklerikale Gewalt wurde
mindestens ebenso sehr von Gerüchten und Legenden angetrieben wie von
rationalem Säkularismus. Dieses Zeitalter der Vernunft hindurch blieben
ältere Erzählungen und kulturelle Normen im Umlauf. Verbreitet wurden sie
in billigen Pamphleten und Groschenromanen – hier die Klostermärchen,
dort die Heiligenleben. Im Tun sowohl der integralistischen Katholiken als
auch ihrer antiklerikalen Widersacher spiegelten sich ältere, vielschichtige
Imaginationen. Da weder die klerikale noch die antiklerikale Position homo-
gen war, bewahrte sich diese Vielfalt der Stimmen, sowohl im Druck als auch
in der mündlichen Überlieferung, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Unter
diesen Stimmen befanden sich solche, die starrsinnig und unversöhnlich
waren. Im Integralismus erhielt sich ein Inventar gewaltsam-apokalyptischer
Glaubenssätze, die durch neue Formen der Frömmigkeit verbreitet wurden.
Solche Glaubenssätze waren an und für sich noch nicht hinreichend, Gewalt
auszulösen. Eine direkte kausale Verbindung gibt es nicht. Gewalt gegen
religiöse Ziele, ebenso wie solche zu deren Schutz, ereignete sich in Zeiten
politischer Instabilität, wie Spanien sie häufig erlebte. Mörderisch wurde sie
erst unter Bedingungen der Revolution und des Bürgerkriegs. Unter diesen
Umständen verstrickten sich Politik und Religion unauflöslich miteinander.
Die politische Indienstnahme der Religion – die Kulturkämpfe – bildet
jedoch nur einen Aspekt der Geschichte ab. Historiker vernachlässigen in der
Regel die Theologie, doch ist diese für das Verständnis der Religion grundle-
gend. Eschatologische Überzeugungen wirken sich auf das religiöse Weltbild
aus. Dementsprechend sind Historiker nun dazu übergegangen, die Vendée
als religiösen Aufstand zu bezeichnen, nachdem sie jahrzehntelang versucht
hatten, soziale und wirtschaftliche Faktoren auszumachen, aus denen sich
eine andere Erklärung ableiten ließe. Arno Mayer deutet den Aufstand indes-
sen als »Kollision zweier Fanatismen«, während Simon Schama »gegenseitige
68 Menéndez y Pelayo, Historia de los heterodoxos españoles, S. 1340.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918