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317Katholiken
und Gewalt in Großbritannien
Gespalten war der Klerus auch auf Gemeindeebene, wo Faktoren wie der
Respekt vor dem Papst, Abneigung gegen das laizistische Frankreich, Sympa-
thie für das katholische Habsburgerreich, historisch bedingte Gegnerschaft
zu den Briten sowie ein pragmatisches Eingehen auf die Stimmung unter den
Schäfchen die Haltungen beeinflussten und einem Konsens im Wege stan-
den16. Der freiwilligen Meldung zum Kriegsdienst stand außerdem im Weg,
dass der Krieg Forderungen an den Agrarsektor stellte, die ansehnliche Pro-
fite versprachen – was für den ländlichen Raum überall auf den britischen
Inseln galt, einschließlich dem protestantischen Ulster17. Schließlich gab es
noch das Problem der umfassenden Radikalisierung des politischen Natio-
nalismus, insbesondere nach dem Osteraufstand von 1916 und der Hinrich-
tung seiner Rädelsführer, die bis auf einen alle die Sterbesakramente von der
Kirche empfingen18. Am Ende verdichtete sich der zunehmende Unmut des
katholischen Irland zur heftigen Ablehnung der Ausweitung der Wehrpflicht
auf Irland. 1918 ordneten die irischen Kirchenoberen an, dass zur Abwen-
dung dieser »Blutsteuer« Messen gelesen werden sollten19, und Priester spra-
chen sich auf Kundgebungen und in gedruckter Form offen gegen die Wehr-
pflicht aus20.
In den Herrschaftsgebieten Kanada und Australien, beide mit einem
katholischen Bevölkerungsanteil von 40 Prozent bzw. 23 Prozent21, war
ebenfalls eine merklich »katholische« Abneigung gegen die Wehrpflicht und
damit zusammenhängend eine Bereitschaft, den Kriegseinsatz in Frage zu
stellen, zu konstatieren. In Kanada kristallisierte sich das Problem um die
historische Spaltung von Canadians und Canadiens. Während die englisch-
sprachigen Katholiken schottischer, englischer und selbst irischer Herkunft
sich in überproportionaler Zahl zu den Fahnen meldeten, waren ihre fran-
kophonen Landsleute in der »Canadian Expeditionary Force« an der West-
front klar unterrepräsentiert22. Nachdem sie schon Aufrufen zur freiwilligen
16 Vgl. David W. Miller, Church, State and Nation in Ireland 1898–1921, Dublin 1973,
S. 312f.
17 Vgl. Beckett u.a., British Army, S. 112.
18 Vgl. Keith Robbins, England, Ireland, Scotland, Wales. The Christian Church, 1900–
2000, Oxford 2008, S. 140.
19 Vgl. ebd., S. 143.
20 Vgl. Miller, Church, State and Nation, S.
406; P. Coffey, The Conscription Menace
in Ireland and some Issues Raised by it, in: Irish Ecclesiastical Record, 5. Serie, Num-
mer 11, Juni 1918, S. 486f.
21 Vgl. Gordon L. Heath, Introduction, in: Gordon L. Heath (Hg.), Canadian Chur-
ches and the First World War, Eugene OR 2014, S.
1–13, hier S.
1; Michael McKernan,
Australian Churches at War, Sydney u.a. 1980, S. 6.
22 Vgl. Mark G. McGowan, »We Are All Involved in the Same Issue«. Canada’ s English-
Speaking Catholics and the Great War, in: Heath, Canadian Churches, S. 34–74,
hier S. 45f.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918