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333Katholiken
und Gewalt in Großbritannien
Diese beispiellose Bewunderung, die der materiellen Kultur des Katholizis-
mus zuteil wurde, spiegelte sich auch im Eifer protestantischer Soldaten, sich
Devotionalien wie Rosenkränze, Skapuliere und wundertätige Medaillen
zu besorgen – als Teil einer umfassenderen »religiösen Versicherung gegen
etwaiges Unglück«93. Selbst unter Katholiken, denen solche Gegenstände als
Hilfen zu Gebet und Andacht dienten oder die Verbundenheit mit bestimm-
ten Heiligen ausdrückten, fungierten sie mitunter als Amulette. Unter Pro-
testanten war dies jedoch unweigerlich der Fall. Dort nahmen katholische
Devotionalien einen bedeutenden Platz unter allerlei religiösen wie weltli-
chen Talismanen ein, unter denen sich Bibeln und Neue Testamente ebenso
befanden wie industriell gefertigte Glücksbringer94.
Das Ausmaß, in dem sich nichtkatholische Soldaten katholische Gegen-
stände aneigneten, ist in der Tat bemerkenswert. Neben Geschenken und
Eigenerwerb (in einer Quelle ist von Rosenkränzen »in jedem [französi-
schen] Schaufenster« die Rede)95 trugen hierzu Spenden von wohlmeinenden
oder auch auf Bekehrungen hoffenden Katholiken im In- und Ausland bei96.
Glaubt man einem Soldaten der »Royal Engineers«, trugen 1916 vier von
zehn britischen Soldaten Rosenkränze um den Hals97, und selbst Oranier
der 36. (Ulster) Division baten einen Jesuitenpater, den sie in einem Zug in
England antrafen, »ihre wundertätigen Medaillen zu segnen«98. Diese neue
Beliebtheit katholischer Devotionalien fand auch weit jenseits katholischer
Kreise statt. So erschien etwa im November 1916 ein Artikel in der mit Eso-
terik befassten Occult Review, der sich dem »Tragen Religiöser Abzeichen
an der Front« widmete und vom irischen Journalisten Michael MacDonagh
gezeichnet war. Der Artikel begann mit dem Zeugnis eines »nichtkatholi-
schen Gefreiten bei den 11. Husaren«, demzufolge »hier draußen beinahe
jeder irgendeine katholische Medaille oder einen Rosenkranz trägt, die ihm
geschenkt wurden, und lieber würde er seine Tagesration oder seine letzte
Zigarette hergeben, als sich von seinem geheiligten Talisman zu trennen«99.
Der Artikel enthielt zudem eine eindringliche Schilderung, wie der Gefreite
Thomas Kelly von den »1st Munster Fusiliers« bei der Landung auf Gallipoli
durch seine Verehrung des Heiligsten Herzens gerettet wurde:
93 Vgl. Owen Davies, A Supernatural War, Oxford 2018, S. 192.
94 Vgl. ebd., S. 135–176.
95 Michael MacDonagh, The Irish on the Somme, London 1917, S. 102.
96 Vgl. Becker, War and Faith, S. 61; Davies, Supernatural, S. 199f.
97 MacDonagh, The Irish, S. 100.
98 Ebd., S. 99.
99 Michael MacDonagh, The Wearing of Religious Emblems at the Front, in: Occult
Review, November 1916, S. 266–274, hier S. 266.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918