Page - 339 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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Wandlungen im Verhältnis von Glaube und Gewalt
allem in Afrika führte zu einer Multiplizierung von Begegnungen mit einem
(religiösen) Anderen, das es im Sinne der Zivilisierungsmission kolonialer
Akteure zu züchtigen galt, wie das Beispiel der Missionarinnen in Deutsch-
Neuguinea zeigt. Zugleich stieß die Kolonisierung auf lokalen Widerstand,
dem entweder unter Einbindung religiöser Argumente (Pugu), oder durch
die Betonung der religiösen Differenz (Melilla), gewaltsam entgegenge tre-
ten wurde.
Neben der fortdauernden Bedeutung religionsbezogener Gewaltsemanti-
ken im gesamten 19. Jahrhundert und einer Konzentration solcher Gewalt-
akte in der zweiten Jahrhunderthälfte beleuchten die Kapitel dieses Bandes
die Vielschichtigkeit katholischer Positionen und problematisieren damit,
sei es auch nur indirekt, eine dem Begriff des »Kulturkampfes« zugrunde-
liegende Bipolarität. Auch wenn Zeitgenossen oft vom Streit zwischen »den
Katholiken« einerseits und »den Antiklerikalen«, »den Protestanten«, »den
Juden« oder »den Muslimen« anderseits berichteten, zeigt die Analyse von
Gewaltpraktiken und -semantiken, dass die katholische Gemeinschaft in
Wahrheit divers, sogar zeitweise zerstritten war. Diese Heterogenität mani-
festierte sich in Konflikten, bei denen Katholiken sich gegenseitig bekämpf-
ten (Österreichisches Küstenland), in der unterschiedlichen Bereitschaft, sich
für die Kirche zu engagieren (Spanien), wie auch in der Mahnung, Anders-
gläubige und -denkende nicht voreilig als »gewaltsam«, »fanatisch« oder
»bösartig« einzustufen (Irland / Ulster). Der katholische Pluralismus hängt
mit einem dritten Aspekt zusammen, der aus den Beiträgen hervorgeht: dem
intersektionelle Charakter von vermeintlich »religiöser Gewalt«. Eine Ana-
lyse der Entstehung von Gewaltkulturen macht klar, dass die Differenzkate-
gorie »Religion« im 19. Jahrhundert kaum noch Menschen zu gewaltsamen
Aktionen bewegen oder als Grund für die Eskalation von Konflikten dienen
konnte; noch mehr als in der Frühen Neuzeit, brauchte es nun eine ergän-
zende säkulare Differenz, um Gewalt hervorzubringen. Dass Religion nur im
Zusammenhang mit Fragen sozialer Ungleichheit, geographisch gelagerter
Benachteiligung im Stadt-Land-Vergleich, national-ethnischer Diskriminie-
rung oder kolonialer Unterdrückung eine Gewaltkultur inspirieren konnte,
bezeugt eine Art Säkularisierung des politischen und Entpolitisierung des
religiösen Raums, dessen Wurzeln in den Religionsfrieden des 17. Jahrhun-
derts liegen4.
4 Vgl. Philipp Benedict, Religion and Politics in Europe, 1500–1700, in: Kaspar von
Greyerz / Kim Siebenhüner (Hg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deu-
tungen (1500–1800), Göttingen 2006, S. 155–174. Mit »Entpolitisierung« ist hier ein
Prozess gemeint, wonach der religiöse Raum, der von der Kirche kontrolliert wurde,
ab jetzt zwar kleiner, dafür aber freier von staatlicher Einmischung wurde. Inwiefern
die Abwesenheit frühneuzeitlicher religiöser Friedensschlüsse in z.B. Spanien ein
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918