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Wahl des Untersuchungsgegenstandes
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
gleichgeschlechtlichen Unzucht entwickelt hat, wie er bis zur Mitte des
20. Jahrhunderts ausgelegt wurde und welche Ansätze für eine Novel-
lierung es gab, wird in bestehenden Arbeiten lediglich ĂĽberblicksartig
dargestellt 13 oder kursorisch gestreift 14. An einer Aufarbeitung des ju-
ristischen Diskurses zur Unzucht wider die Natur sowie an einer Unter-
suchung der diskursiven Räume, die sich den an einem Strafverfahren
beteiligten Personen eröffneten und von ihnen auf unterschiedliche
Art genutzt wurden, fehlt es bislang. Strafverfahren wegen gleichge-
schlechtlicher Unzucht unterschieden sich in ihrem Ablauf nicht von
anderen Strafverfahren. Was allerdings den Nachweis der Tat betraf, so
spielten – anders als bei anderen Strafverfahren – die technischen Er-
rungenschaften des 20. Jahrhunderts und die dadurch neu entstande-
nen Untersuchungsmethoden und Beweismittel wie das Messen, Photo-
graphieren oder die Suche nach FingerabdrĂĽcken kaum eine Rolle: Die
Richter blieben in Unzuchtsverfahren im Wesentlichen auf das von den
Beschuldigten sowie allfälligen Zeuginnen und Zeugen Gesagte verwie-
sen. Damit kam der Frage, welche Sprechsituationen die an den Verfah-
ren Beteiligten jeweils vorfanden, wer im Strafverfahren was und unter
welchen Bedingungen sagen konnte – aber auch wie das Gesagte jeweils
festgehalten und an höhere Instanzen weitergegeben wurde – beson-
dere Bedeutung zu. In diesen Sprechsituationen entschied sich, wer
wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht verfolgt und verurteilt wurde.
Während die zahlenmäßige Intensität der Verfolgung wegen gleich-
geschlechtlicher Unzucht in Ă–sterreich vom Ende des 19. bis zum Be-
ginn des 21. Jahrhunderts bereits wissenschaftlich aufgearbeitet wurde,15
konzentrieren sich Studien zu den Verfolgungspraktiken ĂĽberwiegend
auf die Zeit des nationalsozialistischen Regimes,16 für andere Zeiträume
13 Vgl Schäffer-Ziegler Sabine, Die Strafbarkeit » widernatürlicher « Unzucht. Ein
Straftatbestand von der Constitutio Criminalis Theresiana bis zur kleinen Straf-
rechtsreform 1971, in Floßmann Ursula ( hg ), Sexualstrafrecht. Beiträge zum histo-
rischen und aktuellen ReformprozeĂź ( 2000 ) 129.
14 Vgl Eder Franz X., Homosexualitäten. Diskurse und Lebenswelten 1870–1970 ( 2011 );
Repnik Ulrike, Die Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung in Ă–sterreich
( 2006 ); Hacker Hanna, Frauen und Freundinnen. Studien zur » weiblichen Homose-
xualität « am Beispiel Österreich 1870–1938 ( 1987 ); Schoppmann Claudia, Verbotene
Verhältnisse. Frauenliebe 1938–1945 ( 1999 ).
15 Vgl Weingand Hans-Peter, Homosexualität und Kriminalstatistik in Österreich, In-
vertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 2011, 40.
16 Vgl Kirchknopf Johann, Ausmaß und Intensität der Verfolgung weiblicher Homosexu-
alität in Wien während der NS-Zeit. Rechtshistorische und quantitative Perspektiven
auf Dokumente der Verfolgungsbehörden, Invertito – Jahrbuch für die Geschichte
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik