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20 I. Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Vorstellungen des ( Geschlechts- ) Körpers.63 Die schriftlichen Quellen,
die in dieser Arbeit untersucht werden, gewähren demzufolge lediglich
einen Blick auf historisch variierende Diskurse, nicht aber auf das reale
Verhalten historischer Subjekte. Die jeweiligen Texte mĂĽssen folglich
hinsichtlich ihres Beitrags an der Konstruktion sinn- und realitätsstif-
tender Deutungsmuster hinterfragt werden.64 Allerdings besagt » der of-
fenkundige Tatbestand, das alle soziokulturellen Phänomene sprach-
lich vermittelt sind, ( .) schon rein logisch nicht, dass sie ausschlieĂźlich
durch Begriffe, Diskurse konstituiert sind. « 65 Um herauszustreichen,
dass das Handeln und die Erfahrungen historischer Subjekte zwar
durch Strukturen und Diskurse geprägt, nicht aber determiniert wird,
erscheint der Begriff » soziale Akteure und Akteurinnen « als geeignet.66
Soziale Akteurinnen und Akteure » nutzen, interpretieren auf ihre Weise
DrehbĂĽcher, Rollenvorschriften, Regieanweisungen. Sie zeigen und pro-
duzieren in ihren Aneignungen Eigenes, vielleicht auch › Eigensinn ‹. « 67
Durch das Abstellen auf das diskursive Handeln sozialer Akteurinnen
und Akteure kann zwar kein unmittelbarer Einblick in die Erfahrun-
gen und Körperlichkeiten historischer Subjekte gewonnen werden, es
lässt sich jedoch herausarbeiten, was diese sprachlich vermitteln woll-
ten oder konnten, beziehungsweise wo sie von hegemonialen Regeln
abwichen oder diese auf je eigene Art nutzten und interpretierten.
Die ( historische ) Erforschung der Homosexualität beziehungsweise
der gleichgeschlechtlichen Sexualität war in den letzten Jahrzehnten
maßgeblich von der Essentialismus-Konstruktivismus-Debatte geprägt.
Essentialistische Theorien betrachten Homosexualität als unveränder-
liche, stabile Wesensform, die transhistorisch und transkulturell iden-
tisch ist. Homosexualität wird als personale Eigenschaft verstanden, die
Homosexuelle als » Minderheit « innerhalb der Mehrheitsgesellschaft
63 Vgl dazu auch Nolte Karen, Gelebte Hysterie. Erfahrung, Eigensinn und psychia-
trische Diskurse im Anstaltsalltag um 1900 ( 2003 ) 20, sowie Lutter Christina, Ge-
schlecht, Gefühl, Körper – Kategorien einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik ?
L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 2007, 9 ff.
64 Vgl Hergemöller Bernd-Ulrich, Einführung 17.
65 Rademacher Claudia, Geschlechterrevolution – rein symbolisch ? Judith Butlers
Bourdieu-Lektüre und ihr Konzept einer › subversiven Identitätspolitik ‹, in Rade-
macher Claudia / Wiechens Peter ( hg ), Geschlecht – Ethnizität – Klasse. Zur sozialen
Konstruktion von Hierarchie und Differenz ( 2001 ) 31 ( 49 ).
66 Vgl Lüdtke Alf, Alltagsgeschichte: Aneignung und Akteure. Oder – es hat doch kaum
begonnen ! Werkstattgeschichte 17, 1997, 83; vgl dazu auch Nolte Karen, Hysterie 18.
67 LĂĽdtke Alf, Werkstattgeschichte 17, 1997, 87.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik