Page - 30 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Image of the Page - 30 -
Text of the Page - 30 -
30 I. Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Dieses einleitende Kapitel hat den theoretischen und methodischen
Rahmen der Untersuchung abgesteckt und eine Verortung des Unter-
suchungsgegenstandes im Kontext gendertheoretischer Überlegungen
vorgenommen. Die im Mittelpunkt der Arbeit stehenden historischen
Subjekte – die wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht Verfolgten – wer-
den als soziale Akteurinnen und Akteure verstanden, deren Interpreta-
tion und Nutzung hegemonialer diskursiver Regeln näher untersucht
wird. Es gilt zu beleuchten, welche Aus- und Verhandlungsprozesse über
das » Unzüchtige « in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft stattfanden,
welche Vorstellungen von gleichgeschlechtlicher Unzucht sich dadurch
in den Diskurs einschrieben und welchen Rahmen sie für sprachliche
Handlungsmöglichkeiten in konkreten Unzuchtsverfahren absteckten:
Das zweite Kapitel geht daher der Frage nach der historischen Entwick-
lung des Straftatbestandes der » Unzucht wider die Natur « und seiner
Ausgestaltung und Einordnung in der Systematik des Strafrechts nach.
Diskussionen, die die Einführung neuer Strafgesetze begleiteten, so-
wie die jeweilige sprachliche Ausgestaltung der Norm beeinflussten die
Vorstellungen des Unzüchtigen ebenso wie gerichtliche Entscheidun-
gen über Auslegung und Reichweite des Straftatbestandes. Wesentli-
chen Einfluss auf das im Rahmen des juristischen Diskurses » Sagbare «
hatte neben rechtsdogmatischen Auseinandersetzungen das durch die
Sexualwissenschaft bereitgestellte » neue Wissen « über Sexualität. Es
beeinflusste Debatten um strafrechtliche Subjektivität, denen das dritte
Kapitel gewidmet ist. Medizinisch-juristische Kämpfe um Deutungs-
hoheit und Definitionsmacht, die vor allem in der Frage der Schuldfä-
higkeit zu Tage traten, sowie die in der Sexualwissenschaft entbrann-
ten Debatten über » Veranlagung « zur gleichgeschlechtlichen Unzucht,
allfällige Heredität und Krankheitswert führten zu Überlegungen, in-
wieweit unzüchtige Handlungen den jeweiligen Personen zugerechnet
werden konnten oder aber auf einer, die strafrechtliche Verantwortung
ausschließenden » krankhaften « Disposition beruhten. Brüche, Konti-
nuitäten und Verschiebungen ließen sich auch in den immer wieder
geführten Debatten über Beibehaltung, Novellierung oder Abschaffung
des Straftatbestandes der gleichgeschlechtlichen Unzucht ausmachen,
die im vierten Kapitel dargestellt werden. Auch hier flossen neben ju-
ristischen Begründungen sexualwissenschaftliche Überlegungen sowie
bestimmte Konzepte von » Geschlecht « und » Geschlechtlichkeit « einer-
seits und normativer und abweichender Sexualität andererseits in die
jeweiligen Argumentationen ein. Konkrete Vorwürfe der Unzucht wider
back to the
book Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik