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Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
gleichgeschlechtliche Unzucht erfasst hatte, war der Straftatbestand der
Theresiana deutlich erweitert.112
Im » Allgemeinen Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Be-
strafung « Josephs II. aus 1787 113 fehlte der Begriff der » Unkeuschheit
wider die Natur «. Unter der Hauptüberschrift » Von den Verbrechen, die
zum Verderbnisse der Sitten führen « verengte sich die » vielfältige sodo-
mitische Sünde « 114 erstmals auf die Unzucht mit Tieren und das fleisch-
liche Vergehen mit dem eigenen Geschlecht. Für diese Einschränkung
war die Hofkommission eingetreten, die zwar auch derlei » fleischliche
Ueppigkeiten « als religions- und sittenwidrig wertete, sie sollten aber
nicht länger Gegenstand des Strafrechts sein. Noch weiter ging Graf
von Sinzendorf, der als Vorsitzender der Kompilationskommission den
ganzen Artikel streichen wollte.115 Dagegen sprach sich Joseph II. aus.
Während er die Sodomie vor allem als Folge eines mangelhaften Reli-
gionsunterrichtes und der Unwissenheit einstufte, sollte die gleichge-
schlechtliche Unzucht mit aller Härte verfolgt werden:
» Sowohl der patiens als agens und Verführer bei der Knaben-
schändung 116 ist zur härtesten Arbeit zu condemnieren; bei
diesem Verbrechen hat auch alles Geburtsvorrecht auf-
zuhören, und muss der Edelmann, wenn er sich einer so ab-
112 Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl V. ( Constitutio Criminalis Carolina )
von 1532. Art 116: » Item so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit
weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwĂĽrckt, vnd man soll sie der
gemeynen gewonheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten. «
113 Allgemeines Gesetzbuch ĂĽber Verbrechen und derselben Bestrafung. Kundge-
macht mit Patent vom 13. Jänner 1787 ( JGS 611 ) für alle Länder. In Ungarn und Sie-
benbĂĽrgen trat es allerdings nicht in Geltung, da deren Landtage die Annahme
des Gesetzes verweigerten, vgl Schäffer-Ziegler Sabine in Floßmann Ursula ( hg ), Se-
xualstrafrecht 136 f Fn 26.
114 In Anlehnung an Rydström Jens, » Sodomitical Sins are Threefold «: Typologies of
Bestiality, Masturbation, and Homosexuality in Sweden, 1880–1950, Journal of the
History of Sexuality 2003, 240. Zum Begriff » Sodomie « und insbesondere dessen
Unschärfe vgl auch Puff Helmut, Weibliche Sodomie. Der Prozeß gegen Katherina
Hetzeldorfer und die Rhetorik des Unaussprechlichen an der Wende vom Mittel-
alter zur frĂĽhen Neuzeit, Historische Anthropologie 1999, 364.
115 Vgl Wahlberg Wilhelm Emil, Gesammelte kleinere Schriften und BruchstĂĽcke ĂĽber
Strafrecht, Strafprocess, Gefängnisskunde, Literatur und Dogmengeschichte der
Rechtslehre in Oesterreich III ( 1882 ) 12. Jüngst dazu Weingand Hans-Peter, » … daß
dieses Laster mehr eine Religions Sache seye. « Gleichgeschlechtliche sexuelle
Handlungen und Strafrecht in Österreich 1781–1852, Invertito – Jahrbuch für die
Geschichte der Homosexualitäten 2014, 9 ( 11 ff ).
116 Zum Begriff » Knabenschändung « vgl Kapitel I.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik