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60 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Mannes, der einen achtjährigen Knaben dazu bewog, ihm das Glied
bis zum Samenerguss zu reiben, unter Berufung auf das die Strafbar-
keit der Selbstbefriedigung ausschließende Hofdekret vom 14. August
1824 nicht als gleichgeschlechtliche Unzucht iSd § 129 I b StG 1852 ein.
Die Tat stelle auch keine Schändung iSd § 128 StG 1852 dar, » weil der
unmündige B nicht als der Gegenstand, sondern nur als Werkzeug des
geschlechtlichen Mißbrauches verwendet worden sein soll «.229
Die gleichgeschlechtliche Unzucht sollte » nur in der Weise als eine
verbrecherische angesehen werden, wenn eine naturwidrige fleischli-
che Vermischung zwischen denselben Personen, wie z.B. bei der Päde-
rastie [ hier wohl gebraucht im Sinne von Analverkehr ], stattgefunden
hat. « 230 Selbst in Gemeinschaft betriebene Onanie erfülle dagegen den
Tatbestand nicht. Unveröffentlicht gebliebene Entscheidungen zeigten
dagegen eine deutliche Tendenz zur Ausweitung des Tatbestandes. So
entschied der Oberste Gerichtshof bereits 1877, dass sich § 129 I b StG
1852 nicht auf die Päderastie beschränke. Drei Jahre später stellte der
Gerichtshof fest, dass ein dem Beischlaf ähnlicher Akt zur Vollendung
des Deliktes nicht erforderlich und es für einen Unzuchtsakt bereits
ausreichend sei, wenn dieser nicht an, sondern nur mit der anderen
Person desselben Geschlechts begangen werde. Zur Erfüllung des Tat-
bestandes sei weder eine » conjunctio membrorum « noch die » immis-
sio penis vel seminis « in einen Körperteil einer anderen Person zu for-
dern.231
Ob der Tatbestand nur durch einen beischlafähnlichen Akt verwirk-
licht werden konnte, wurde in der Lehre unterschiedlich beantwortet.
Nach Karl Gochnat wies § 129 I b StG 1852 den gleichen Inhalt auf wie
§ 113 StG 1803 und sei daher im Sinne des Hofdekrets vom 14. August
1824 unter Berücksichtigung des § 71 des Josephinischen Strafgesetz-
buches zu verstehen.232 Herbst wollte den Begriff » Unzucht « generell
nicht bloß auf » Beischlaf « beschränkt wissen, sondern verstand dar-
229 OGH 1052.
230 OGH 1215.
231 Vgl die Nachweise im Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen vom 27. Mai 1852,
R.G.B. Nr. 117 und das Pressgesetz vom 17. Dezember 1862, R.G.B. 1863 Nr. 6 sammt
den ergänzenden und erläuternden Gesetzen und Verordnungen unter Anführung
einschlägiger Beschlüsse und Entscheidungen des Obersten Gerichts- und Cassa-
tionshofes 15 ( 1884 ) 88 Rz 4, 5 und 9 zu § 129 I b.
232 Vgl Gochnat Karl, Strafgesetz 77.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik