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64 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
die sexuelle Neigung zu Personen des gleichen Geschlechts nun vielfach
genannt wurde, als angeborene Erscheinung und » Theilerscheinung an-
derer neuro- oder psycho-pathologischer Zustände « hielt Hofmann un-
ter Berufung auf die Sexualwissenschafter Carl Westphal und Richard von
Krafft-Ebing für möglich. Fraglich erschien ihm dagegen, » ob eine solche
conträre Sexualempfindung auch als isolirte Erscheinung vorkommen
könne. « 250 Die Deutung der » conträren Sexualempfindung « als » psycho-
pathischer « Geisteszustand, als krankhafte Störung der Geistestätigkeit,
war erst durch die Pathologisierung des Triebes und die gleichzeitige
Verlagerung des Interesses von der Diagnostik des Aktes hin zur Persön-
lichkeit der Täter und Täterinnen durch die Sexualwissenschaft und die
Psychiatrie möglich geworden. In juristischer Hinsicht wurde konträres
Sexualempfinden damit zu einem Schuldproblem. Folgerichtig widmete
sich Hofmann in späteren Ausgaben seines Lehrbuchs der konträren Se-
xualempfindung auch vorrangig im Zusammenhang mit der Frage der
Zurechnungsfähigkeit. Er ging davon aus, dass die konträre Sexualemp-
findung gänzlich anders zu behandeln sei als die gewöhnliche Päderas-
tie, soweit es sich dabei um eine » Theilerscheinung einer angeborenen
fehlerhaften Organisation « 251 handle.
c. » Eine eigene Classe geborener Urninge « –
Zum Einfluss der Sexualwissenschaft
Mit dem wachsenden Einfluss der Sexualwissenschaft hatte sich die Su-
che nach den eigentümlichen Merkmalen der » Päderasten « von der Kör-
peroberfläche ins Innere des Menschen verlagert.252 Äußeres Zeichen
dieser veränderten Deutungsmacht war die Ersetzung des Begriffs » So-
domit « durch neue Bezeichnungen. Als einer der ersten entwickelte Karl
Heinrich Ulrichs, ein wegen » widernatürlicher Wollust « aus dem Staats-
dienst des Königreichs Hannover entlassener Jurist und Altphilologe,
eine » Theorie der Homosexualität «.253 Ulrichs benutzte in seinen unter
dem Pseudonym Numa Numantius veröffentlichten Schriften über die
250 Hofmann Eduard, Lehrbuch 189.
251 Hofmann Eduard, Lehrbuch der Gerichtlichen Medicin. Mit gleichmässiger Berück-
sichtigung der deutschen und österreichischen Gesetzgebung 7 ( 1895 ) 903.
252 Vgl auch Schlatter Christoph, » Merkwürdigerweise bekam ich Neigung zu Bur-
schen «. Selbstbilder und Fremdbilder homosexueller Männer in Schaffhausen
1867 bis 1970 ( 2002 ) 43.
253 Vgl Sommer Kai, Strafbarkeit 26.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik