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Das Strafgesetz 1852
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
nicht: » Alle Gründe, die man gegen die sogenannte widernatürliche Un-
zucht anfĂĽhren kann, lassen sich auch gegen die gesetzlich gestattete
mutuelle Onanie anführen. « 286
Sowohl Krafft-Ebing als auch Moll sprachen sich gegen die Bestra-
fung gleichgeschlechtlicher Unzuchtsakte bei angeborener konträrer
Sexualempfindung aus. Ihr Versuch, die angestrebte Straflosigkeit da-
mit zu begründen, dass die gegenwärtige Beschränkung der Strafbarkeit
auf bestimmte gleichgeschlechtliche Handlungen einer wissenschaft-
lichen Grundlage entbehrte, erwies sich allerdings als verhängnisvoll.
Indem die Sexualwissenschaft den Blick von der Päderastie im engeren
Sinn hin zu anderen sexuellen Akten und dem Kriterium der sexuel-
len Befriedigung lenkte, konnte sie im Recht auch als BegrĂĽndung fĂĽr
eine Ausweitung des Tatbestandes dienen.287 Statt zu einer Beseitigung
der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber fĂĽhrten der Zuwachs und die
zunehmende Verbreitung jener Wissensbestände, die die Sexualwis-
senschaft über das Verhalten der » Unzüchtigen « bereitstellte, damit zu
einer Ausdehnung der Strafbarkeit im Wege der Rechtsprechung. Dies
zeigte sich deutlich, als der Oberste Gerichshof im September 1902 er-
neut darĂĽber zu entscheiden hatte, welche Handlungen den Tatbestand
der gleichgeschlechtlichen Unzucht erfĂĽllten.
d. » An ihrem Körper seine Geschlechtslust befriedigte « –
Die Entscheidung KH 2747
Am 27. Dezember 1901 war Siegbert G. vom Landesgericht Graz von der
Anklage wegen Verbrechens der Unzucht wider die Natur nach § 129 I b
StG 1852 freigesprochen worden.288 Der Oberste Gerichtshof gab der ge-
gen das Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde Folge und sprach Sieg-
bert G. wegen » Selbstbefleckungen «, vorgenommen mit Benützung des
Körpers männlicher Personen, nach § 129 I b StG 1852 schuldig. Ob es sich
dabei um beischlafähnliche Akte handelte, erachtete der Gerichtshof für
unerheblich und stellte fest, dass es zur Verwirklichung des Tatbestan-
des keines beischlafähnlichen Aktes bedürfe. Der Begriff » Unzucht « sei
286 Moll Albert, Die konträre Sexualempfindung 3 ( 1899 ) 494.
287 Vgl auch Hutter Jörg, Kontrolle 70 ff.
288 Die Strafakten des LG Graz sind fĂĽr die Jahre 1900 bis 1913 nicht erhalten geblieben.
Für die diesbezügliche Recherche danke ich Frau OArchR. in Dr.in Elisabeth Schöggl-
Ernst MAS, Steiermärkisches Landesarchiv, Referat Justiz- und Finanzarchive – Re-
produktion.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik