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84 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
zische Strafgesetz behielt die Reduktion auf die sodomia ratione sexus
und die sodomia ratione generis bei, zählte die widernatürliche Unzucht
aber wieder zu den eigentlichen Verbrechen und bedrohte sie mit har-
tem Kerker zwischen drei Monaten und einem Jahr. Bei dieser Regelung
blieb im Wesentlichen auch das Strafgesetz 1803, das zwar die Strafun-
tergrenze auf sechs Monate anhob, dafĂĽr aber in den nicht qualifizier-
ten Fällen lediglich eine Verurteilung zur einfachen Kerkerstrafe vorsah.
Ungeachtet anderer Auffassungen in der Literatur fasste die Rechtspra-
xis unter den Tatbestand weitestgehend nur die Päderastie, verstanden
als Analverkehr, um dessen Nachweis sich auch die Gerichtsmedizin
bemĂĽhte. Gleichgeschlechtliche Unzucht zwischen Frauen galt dagegen
als selten und nur schwer nachweisbar.
Das Strafgesetz 1852, offiziell lediglich eine » Neuausgabe « des Straf-
gesetzes 1803, fĂĽhrte explizit aus, dass die Unzucht wider die Natur ent-
weder mit Tieren oder mit Personen desselben Geschlechts begangen
wurde. Gleichzeitig erhöhte es die Strafdrohung auf schweren Kerker
von einem Jahr bis zu fĂĽnf Jahren und lieĂź bei jedem Verbrechen straf-
rechtliche Nebenfolgen eintreten, die die Verurteilten an ihren bĂĽrger-
lichen und politischen Rechten schmälerten. Die Auslegung des Tatbe-
standes bereitete in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten. Zum einen
galt die Abgrenzung zwischen dem Straftatbestand der Schändung
nach § 128 StG 1852 und der gleichgeschlechtlichen Unzucht nach § 129 I
b StG 1852 als fraglich. Während Teile der Rechtswissenschaft dafür ein-
traten, dass § 128 StG 1852 Geschlechtsverschiedenheit zwischen Täter
oder Täterin und Opfer voraussetze, nahm der Oberste Gerichtshof an,
dass sich die Schändung von der gleichgeschlechtlichen Unzucht nicht
vornehmlich durch die Geschlechtsverschiedenheit der Personen un-
terscheide, sondern das Haupterfordernis in der Wehr- oder Bewusstlo-
sigkeit beziehungsweise der UnmĂĽndigkeit der missbrauchten Person
liege. Idealkonkurrenz zwischen den beiden Verbrechen käme nicht in
Betracht, wohl könne aber eine Tathandlung als Schändung iSd § 128
StG 1852 einzustufen sein, die die Voraussetzungen des § 129 I b StG 1852
nicht erfülle. Ein beischlafähnlicher Akt wurde zur Verwirklichung des
Tatbestandes der Schändung nicht gefordert. Ob ein solcher für das
Delikt der gleichgeschlechtlichen Unzucht zu fordern sei, blieb zum
anderen lange Zeit umstritten. Die Rechtsprechung tendierte zunächst
dazu, eine » naturwidrige fleischliche Vermischung « zu fordern, war da-
bei aber keineswegs einheitlich. Spätestens ab der Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert fĂĽhrte jedoch eine immer extensivere Interpretation
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik