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90 III. Das Recht zu sĂĽndigen
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
von Vornherein im Fokus der Behörden. Prostituierte deuteten auf eine
Transgression hin, verließen sie doch als » öffentliche « Frauen den ih-
nen qua Geschlecht zugeschriebenen Bereich des Privaten und mar-
kierten gleichzeitig die sexuelle Subjektivität von Frauen.351 Sowohl das
Moment sexueller Autonomie als auch jenes der – mehrfachen – Grenz-
ĂĽberschreitung spielte beim Delikt der gleichgeschlechtlichen Unzucht
zwischen Personen weiblichen Geschlechts ebenfalls eine Rolle: Gleich-
geschlechtliche Sexualkontakte galten zum einen als unzĂĽchtig, weil sie
auĂźerhalb des fĂĽr legitimen sexuellen Verkehr vorgesehenen Rechts-
institutes der Ehe stattfanden. Zum anderen wurden sie als gegen die
natĂĽrliche Ordnung gerichtet verstanden, weil sie nicht auf Prokreation
angelegt waren und sich nicht in die heterosexuelle Matrix einfĂĽgten.352
Krafft-Ebing griff schließlich in seiner » Psychopathia sexualis « den von
dem französischen Hygeniker Alexandre-Jean-Baptiste Parent-Duchâte-
let hergestellten Zusammenhang zwischen Prostitution und gleichge-
schlechtlicher Unzucht unter Frauen auf:
» [ … ] es [ sind ] wesentlich Prostituierte von grosser Sinnlichkeit
[ … ], die, unbefriedigt von dem Umgang mit impotenten oder
perversen Männern und angewidert von deren Praktiken, zu je-
ner Verirrung gelangen.
Ueberdies sind Prostituierte, die sich als Tribaden bemerklich
machen, durchweg Personen, die mehrjährige Gefängnissinsas-
sen waren und in diesen Brutstätten lesbischer Liebe ex absti-
nentia sich diese Verirrung aneigneten. « 353
Die Prostituierte, nicht die Perverse, stellte den Prototyp weiblicher se-
xueller Abnormität dar.354 Krafft-Ebing etablierte damit eine diskursive
Verbindung zwischen Prostitution als archetypischem Beispiel weibli-
cher ( sexueller ) Devianz und gleichgeschlechtlichem weiblichen Sexu-
alverhalten und -begehren, die auch die Wahrnehmung von Frauen im
351 Vgl dazu auch Engelstein Laura, Gender and the Juridical Subject: Prostitution and
Rape in Nineteenth-Century Russian Criminal Codes, The Journal of Modern His-
tory 1988, 458 ( 471 f ).
352 Zum Begriff der heterosexuellen Matrix vgl Butler Judith, Unbehagen 37 ff. Nach
Herbert Jäger stellt die Annahme der Widernatürlichkeit ein » säkularisiertes religi-
öses Motiv « dar, vgl ausführlich Jäger Herbert, Strafgesetzgebung und Rechtsgüter-
schutz bei Sittlichkeitsdelikten. Eine kriminalsoziologische Untersuchung ( 1957 )
73 ff.
353 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 429.
354 Vgl dazu auch Klabundt Per, MedGG 1994, 114 f.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik