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Lasterhaftigkeit und Kriminalität
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Zusammenhang mit dem Delikt der widernatürlichen Unzucht prägte.
Während bei Frauen ein durch Überdruss oder äußere Umstände be-
einflusster Entwicklungsverlauf von der Prostituierten hin zur Lesbie-
rin angenommen wurde, galt » der mühelose[ . ] Verdienst, den sie sich
durch Preisgabe ihres Körpers verschaffen können « 355 bei männlichen
Prostituierten als Grund fĂĽr die Aufnahme gleichgeschlechtlicher Sexu-
alkontakte.356 Männer, die sich für Männer prostituierten, wurden häu-
fig als » weiblich « codiert.357 Ähnliche Deutungen spielten auch im Hin-
blick auf gleichgeschlechtliche Handlungen unter Frauen eine Rolle.
Da die zeitgenössischen Vorstellungen Männern sexuelle Aggressivität
und Autonomie, Frauen dagegen Leidenschaftslosigkeit zuschrieben,
war autonomes sexuelles Verhalten von Frauen – insbesondere wenn
es ohne männliche Beteiligung stattfand – in hohem Maße erklärungs-
bedürftig. Diese Erklärung wurde in dem Modell » sexueller Inversion «
gefunden, das auf einer grundsätzlichen Verkehrung des weiblichen
Sexual- und Geschlechtscharakters beruhte. Verhielten sich Frauen bei
ihrer sexuellen Objektwahl » wie Männer «, so mussten sie dies entspre-
chend der herrschenden Logik auch in anderen Lebensbereichen tun.358
Ein weiteres Narrativ bestand in der Verknüpfung von gewerbsmäßiger
Unzucht, die als paradigmatisch fĂĽr weibliche Lasterhaftigkeit und Kri-
minalität gelten konnte,359 und weiblicher gleichgeschlechtlicher Un-
zucht. Die » lesbische Prostituierte « wurde zu einem Topos in mehreren
europäischen Ländern.360
355 Hirschfeld Magnus, Die Homosexualität des Mannes und des Weibes ( 1914 ) 712.
356 Heterosexuelle Prostitution von Männern wurde dagegen nicht thematisiert, sie
spielte auch rechtlich keine Rolle.
357 Vgl Lücke Martin, » Das ekle Geschmeiß «. Mann-männliche Prostitution und he-
gemoniale Männlichkeit im Kaiserreich, in Dinges Martin ( hg ), Männer – Macht –
Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute ( 2005 ) 157 ( 166 ).
358 » Der Lieblingsaufenthalt des weiblichen Urnings ist der Tummelplatz der Knaben.
[ … ] Von Puppen will das Urningmädchen nichts wissen, seine Passion ist das Ste-
ckenpferd, das Soldaten- und Räuberspiel. Zu weiblichen Arbeiten zeigt es nicht
blos [ sic ! ] Unlust, sondern vielfach geradezu Ungeschick. «, Krafft-Ebing Richard von,
Psychopathia 12 283.
359 Bereits der Titel von Cesare Lombrosos bekanntem Werk wies auf diese diskursive Ver-
bindung hin, vgl Lombroso Cesare / Ferrero Guglielmo, Das Weib als Verbrecherin und
Prostituierte ( 1894 ). Vgl auch Beccalossi Chiara, The Origin of Italian Sexological Stu-
dies: Female Sexual Inversion, ca. 1870–1900, Journal of the History of Sexuality 2009,
103 ( 114 ff ) sowie bereits Hacker Hanna, Zonen des Verbotenen: Die lesbische Codie-
rung von Kriminalität und Feminismus um 1900, in Hey Barbara ( hg ), Que ( e ) rden-
ken: weibliche / männliche Homosexualität und Wissenschaft ( 1997 ) 40 ( 49 ff ).
360 Vgl Beccalossi Chiara, Journal of the History of Sexuality 2009, 114.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik