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92 III. Das Recht zu sĂĽndigen
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Hinsichtlich der Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Akte unter
Frauen erschien Krafft-Ebing die österreichische Gesetzgebung konse-
quenter als die deutsche. Letztere ginge nämlich irrtümlich von der
Annahme aus, » dass Weiber untereinander sexuell nicht deliktfähig
seien. « 361 Allerdings nahm er an, dass Frauen auch in Österreich we-
gen gleichgeschlechtlicher Unzucht strafrechtlich nicht belangt wĂĽr-
den, da » [ d ]ie öffentliche Meinung [ . ] in Oesterreich offenbar sexuelle
Handlungen, inter feminas begangen, nur als Handlungen contra bo-
nos mores, nicht aber contra leges « 362 betrachte. In diesem Punkt irrte
Krafft-Ebing, wie die Rechtsprechung der österreichischen Gerichtshöfe
beweist.363 Allerdings wurden Frauen nicht im gleichen MaĂźe als se-
xuell handelnde Subjekte wahrgenommen wie Männer.364 Im Hinblick
auf Notzucht ( §§ 125, 127 StG 1852 ) kamen sie gar nicht, im Hinblick auf
Schändung ( § 128 StG 1852 ) nur in eingeschränktem Maße als Täterin-
nen in Betracht. Prostituierte unterlagen darüber hinaus grundsätzlich
nicht dem Strafgesetz, sondern der Bestrafung durch die Sicherheitsbe-
hörden, was auf einen geminderten Subjektstatus hindeutet.365
361 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 279. Diese Annahme spielte allerdings
auch in Österreich ab dem StRÄG 1971 eine entscheidende Rolle: Während gleich-
geschlechtliche Unzucht von Männern mit männlichen Minderjährigen weiterhin
unter Strafe gestellt wurde, blieben derartige Handlungen zwischen Frauen straf-
frei. Die Regierungsvorlage 1970 begründete dies damit, dass bei Frauen » ( d ) ie
Grenzen zwischen freundschaftlichen und Zärtlichkeitsbezeugungen, Berührun-
gen im Zug von Hilfeleistungen bei der Körperpflege udgl. einerseits und echten
gleichgeschlechtlichen Akten anderseits [ . ] sich weitgehend der Feststellung im
Strafprozeß « entzögen, 39 BlgStenProtNR XII. GP 15. Siehe dazu auch das Erkennt-
nis des VfGH vom 3. Oktober 1989, G 227 / 88, G 2 / 89, VfSlg 12182, mit dem unter Be-
rufung auf die Regierungsvorlage eine unterschiedliche Behandlung von Männern
und Frauen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Handlungen im Hinblick auf den
Gleichheitssatz für zulässig erklärt wird.
362 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 280.
363 Die Anzahl weiblicher Beschuldigter beziehungsweise Verurteilter blieb allerdings
stets weit hinter der von männlichen Beschuldigten zurück.
364 Zu Parallelen zwischen der Kriminalisierung devianten weiblichen Sexualverhal-
tens und der Zuerkennung politischer Rechte an Frauen vgl auch Löfström Jan, A
Premodern Legacy: The » Easy « Criminalization of Homosexual Acts Between Wo-
men in the Finish Penal Code of 1889, Journal of Homosexuality 1998, 53 ( 72 ); sowie
Bauer Heike, Journal of the History of Sexuality 2009, 95.
365 Bei Vorliegen einer venerischen Krankheit, Erregung öffentlichen Ärgernisses oder
VerfĂĽhrung jugendlicher Personen oblag die Bestrafung von Prostituierten den
Gerichten. Setzten Prostituierte das unzĂĽchtige Gewerbe ungeachtet polizeilicher
Bestrafung fort oder missachteten sie etwaige polizeiliche Anordnungen, konnte
auf Begehren der Sicherheitsbehörde ebenfalls eine strafgerichtliche Verfolgung
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik