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Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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94 III. Das Recht zu sündigen Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft¶ Erkenntnisse in den folgenden Jahren setzten sich die Gerichte jedoch vermehrt damit auseinander, ob widernatürliche Unzuchtshandlungen den Tätern und Täterinnen strafrechtlich zugerechnet werden konn- ten.369 Notwendige Voraussetzung für derartige Überlegungen war die Vorstellung, dass strafrechtliche Schuld Zurechnungsfähigkeit und diese wiederum geistige und physische Normalität erfordere. Naturrecht und Aufklärung hatten zu einer Säkularisierung und Ra- tionalisierung des Strafrechts geführt. Religiöse Vorstellungen schwan- den als Begründung der Strafbarkeit, Delikte wie Hexerei und Zauberei wurden beseitigt, den Religionsdelikten wurde insgesamt eine gerin- gere Bedeutung beigemessen. Unter dem Einfluss von Samuel von Pu- fendorfs Imputationslehre 370 erhielt das Prinzip der Schuldhaftung eine neue Grundlage. Maßgeblich für die strafrechtliche Verantwortung ei- nes Menschen sollte seine Willensfreiheit sein. Der freie Wille stellte den » Schlüssel zu allen Verbrechens- und Strafausschließungsgrün- den « 371 dar. Nach aus heutiger Sicht differenzierten dogmatischen Ka- tegorien wie Rechtswidrigkeit oder Schuld wurde freilich noch nicht unterschieden: Zurechnungsfähigkeit und Zurechenbarkeit bildeten eine Kategorie.372 War eine Tat nicht gewollt, sondern erfolgte sie nur aus Notwehr oder Notstand, oder fehlte es dem Täter beziehungsweise der Täterin am Verstandesgebrauch, schloss Pufendorf neben der mo- ralischen auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Tat aus.373 Schon die Constitutio Criminalis Carolina hatte sich diesem Begriff der Zurechnungsfähigkeit angenähert, indem sie Jugend und Geistes- schwäche bei der Verurteilung berücksichtigt wissen wollte. Die Consti- tutio Criminalis Theresiana setzte zur Verwirklichung eines Verbrechens » Gebrauch [ der ] Vernunft, und freyen Willen « voraus. » [ W ]as [ … ] von unsinnigen, und anderen der Vernunft beraubten Leuten [ … ] geschieht «, wurde nicht als Verbrechen angesehen ( Art 3 § 5 ). Schlossen » gewisse 369 Vgl auch Hutter Jörg, Kontrolle 96. 370 Dazu eingehend Moos Reinhard, Der Verbrechensbegriff in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert. Sinn- und Strukturwandel ( 1968 ) 76 ff. 371 Moos Reinhard, Verbrechensbegriff 83 Fn 216. 372 Vgl Gschwend Lukas, Zur Geschichte der Lehre von der Zurechnungsfähigkeit. Ein Beitrag insbesondere zur Regelung im Schweizerischen Strafrecht. Historisch-dog- matische Rhapsodien zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit unter Mit- berücksichtigung medizinhistorischer und wissenschaftsgeschichtlicher Aspekte ( 1996 ) 137 f. 373 Vgl Hoke Rudolf, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte 2 ( 1992 ) 431 f; Moos Reinhard, Verbrechensbegriff 504.
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Verkehrte Leidenschaft Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
Title
Verkehrte Leidenschaft
Subtitle
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Author
Elisabeth Greif
Publisher
Jan Sramek Verlag
Location
Wien
Date
2019
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-7097-0205-5
Size
15.0 x 23.0 cm
Pages
478
Category
Recht und Politik
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