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132 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
wider die Sittlichkeit « – die Sittlichkeit allgemein als das geschützte
Rechtsgut ohne sie auf die » öffentliche « Sittlichkeit zu beschränken.
Der liberale Kurs, den die Regierungsvorlage 1867 eingeschlagen hatte,
wurde beibehalten, die einverständliche gleichgeschlechtliche Unzucht
unter Erwachsenen sollte straffrei bleiben. Begrifflich wich der Entwurf
von der österreichischen Rechtstradition insoweit ab, als § 162 des Aus-
schussentwurfes den bisherigen Tatbestand der Schändung nunmehr
als » Missbrauch zur widernatürlichen Unzucht « bezeichnete:
» Wer eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechtes,
welche in folge der von ihm angewendeten Gewalt oder gefähr-
lichen Drohung ( § 104 ) außer Stande ist, ihm Widerstand zu
leisten, oder welche sich sonst im Zustande der Willens- oder
Wehrlosigkeit befindet, oder noch nicht 14 Jahre alt ist, zur Be-
friedigung seiner LĂĽste auf eine nicht im Beischlaf bestehende
Weise auĂźerehelich geschlechtlich missbraucht, begeht das Ver-
brechen des Missbrauches zur widernatürlichen Unzucht. «
Als Strafe für das genannte Verbrechen sah § 163 des Ausschussentwur-
fes 1870 Zuchthaus von einem bis zu vier Jahren vor. Die Strafverfolgung
sollte nur auf Begehren der verletzten Person eintreten, auĂźer die Tat
hatte eine besonders schwere Körperverletzung oder Gesundheitsstö-
rung verursacht oder den Tod der verletzten Person herbeigefĂĽhrt. In
beiden Fällen hatte die Verfolgung von Amts wegen zu erfolgen, das
Strafmaß erhöhte sich auf Zuchthaus von vier bis acht Jahren im ers-
ten und von acht bis zwölf Jahren im zweiten Fall. Unter » Schändung «
verstand der Ausschussentwurf in § 161 dagegen den Missbrauch einer
willen- oder wehrlosen Frau oder eines Mädchens unter vierzehn Jahren
zum auĂźerehelichen Beischlaf.
Die Vertagung des Reichsrates, gefolgt von der Auflösung des Abge-
ordnetenhauses am 22. Mai 1870,519 beendeten diesen ersten Versuch der
Reform des Strafgesetz 1852, der im wesentlichen an die österreichische
Rechtstradition angeknĂĽpfte, letztendlich aber zu einer Entkriminali-
sierung der gleichgeschlechtlichen Unzucht geführt hätte.
519 Kaiserliches Patent vom 22. Mai 1870, betreffend die Auflösung des Hauses der Ab-
geordneten des Reichsrathes und die Vornahme von Neuwahlen, RGBl 1870 / 74.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik