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Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
natürliche Unzucht in die Öffentlichkeit dringen. « 637 Das Abgeordneten-
haus hatte allerdings keine Gelegenheit mehr, die Regierungsvorlage
1913 638 zu beraten. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Kriegs-
wirren fĂĽhrten zuvor zur SchlieĂźung der 21. Session des Reichsrates.639
5. Exkurs: Der Entwurf einer Teilreform durch Hoegel und
der Entwurf von Sterneck
Die Tatsache, dass seit dem Hyeschen Strafgesetzentwurf jeder Versuch
einer Gesamtreform des österreichischen Strafrechts gescheitert war,
veranlasste den mittlerweile aus der Strafgesetzkommission ausge-
schiedenen Hoegel, Teilreformen des Strafrechts anzuregen. Inhaltliche
Gestalt verlieh Hoegel seinen Vorschlägen in einer 1908 veröffentlichten
Monographie 640, in der er unter anderem für eine gänzliche Umarbei-
tung der Sittlichkeitsdelikte eintrat. Bereits in frĂĽheren Schriften hatte
Hoegel hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Unzucht einen konserva-
tiven Standpunkt eingenommen.641 Der unter seiner Mitarbeit zustande
gekommene Strafgesetzentwurf war durch eine stärkere Ausdifferenzie-
rung des Delikts und durch die Kriminalisierung der gleichgeschlecht-
lichen Prostitution gekennzeichnet. Anders als etwa sein Strafrechts-
kollege Finger lehnte Hoegel die Annahme einer hereditären Grundlage
der Konträrsexualität ab. Außerjuristischem Wissen stand Hoegel kri-
tisch gegenĂĽber: Statt auf medizinische Experten und die Forschun-
gen der Sexualwissenschaft zur konträren Sexualempfindung verließ
sich Hoegel lieber auf seine eigene Erfahrung als Staatsanwalt.642 Diese
habe ihn gelehrt, dass die konträre Sexualempfindung in den seltens-
ten Fällen auf einer krankhaften Veranlagung beruhe. Hoegels » Beweis-
637 Stooss Carl, Lehrbuch 2 463.
638 Eingebracht als 2019 BlgStenProtAH 21. Session.
639 Vgl Rittler Theodor, Lehrbuch I 2 21.
640 Vgl Hoegel Hugo, Teilreformen auf dem Gebiete des österreichischen Strafrech-
tes ( einschlieĂźlich des PreĂźrechtes ) ( 1908 ). Lammasch, der Hoegels Schrift be-
sprach, kam zu dem Schluss, dass » sein Buch deutlicher als jede Kritik beweist,
daß schrittweise Teilreformen nicht geeignet sind, die Mängel unseres veralteten
Strafrechtes zu beheben. «, Lammasch Heinrich, Teilreformen auf dem Gebiete des
österreichischen Strafrechts von Oberstaatsanwalt Dr. Hugo Hoegel, Allgemeine
Ă–sterreichische Gerichts-Zeitung 1908, 325 ( 328, Hervorhebungen im Original ). Auf
Hoegels Vorschläge im Hinblick auf die Sittlichkeitsdelikte ging Lammasch nicht
gesondert ein.
641 Vgl Hoegel Hugo, Der Gerichtssaal 1897, 103.
642 Vgl dazu auch Kapitel III.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik