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Die österreichische Reformdiskussion in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
In den Fällen der Abs. 2 bis 4 kann Aufenthaltsverbot neben Ge-
fängnis zugelassen werden. «
Die Strafbarkeit der widernatürlichen Unzucht begründete die Denk-
schrift zum Entwurf 1919 damit, dass » Verfehlungen dieser Art [ . ] dem
gesunden Empfinden des Volkes verwerflich und strafwürdig « 669 erschie-
nen. In Ausnahmefällen könne es sich dabei zwar um eine angeborene
Veranlagung handeln, angeborene » krankhafte « Triebe spielten jedoch
auch bei anderen Straftatbeständen eine Rolle. Allein aus Rücksicht dar-
auf könne man ein an sich strafwürdiges Verhalten nicht straflos stellen.
Entsprechend dem geltenden deutschen Recht solle der Tatbestand nur
durch beischlafähnliche Handlungen 670 erfüllt werden. Besonders straf-
würdig und gefährlich sei die männliche Prostitution, die » Brutstätte des
Verbrechertums und des Verbrechens « 671. Durch sie werde die gleichge-
schlechtliche Unzucht in besonderem Maße gefördert. Als fortgesetzte
Versuchung für jene, die zur gleichgeschlechtlichen Unzucht » neigen «,
bilde sie » die Quelle schwersten Ärgernisses und besondere Gefahr für öf-
fentliche Sittlichkeit und Sicherheit. « 672 Da die widernatürliche Unzucht
vor allem in den Großstädten » wuchere «, müsse die Möglichkeit des Auf-
enthaltsverbotes gem § 325 letzter Satz des Entwurfs 1919 als besonders
geeignetes Mittel angesehen werden, um Rückfälle zu verhindern.673
Sexualwissenschaftliche Forderungen nach einer Entkriminali-
sierung gleichgeschlechtlicher Handlungen hatten in den deutschen
669 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 269.
670 Zur Auslegung des § 175 dRStGB vgl Sommer Kai, Strafbarkeit 50 ff. § 326 des Ent-
wurfes beinhaltete die Unzucht mit Tieren und stellte gleichfalls nur beischlafähn-
liche Handlungen unter Strafe.
671 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 270.
672 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 270.
673 Vgl Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 271. Sommer hält fest, dass es die
Denkschrift verabsäumt, eine Begründung für die Notwendigkeit der Strafbarkeit
der gleichgeschlechtlichen Unzucht unter Männern zu liefern, vgl Sommer Kai, Straf-
barkeit 178. Der Vorentwurf 1909 hatte die Motive für die Strafdrohung folgender-
maßen zusammengefasst: » Die widernatürliche Unzucht, insbesondere zwischen
Männern, ist eine Gefahr für den Staat, da sie geeignet ist, die Männer in ihrem
Charakter und in ihrer bürgerlichen Existenz auf das schwerste zu schädigen, das
gesunde Familienleben zu zerrütten und die männliche Jugend zu verderben. Mit
ihr verbunden sind meist ein lichtscheues Treiben und die Anknüpfung von Verbin-
dungen mit Individuen bedenklichste Art, beides wird selten ohne Rückwirkung auf
die sittliche Gesamtpersönlichkeit des so Verirrten bleiben können. «, Vorentwurf zu
einem Deutschen Strafgesetzbuch. Bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverstän-
digen-Kommission. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizamts ( 1909 ) 690.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik