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Die österreichische Reformdiskussion in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
unter Männern. Beibehalten wollte er sie lediglich im Hinblick auf die
männliche Prostitution, die er ebenso wie die weibliche Prostitution
ohne Unterschied nach der vorgenommenen geschlechtlichen Hand-
lung für strafbar erklärt wissen wollte.679
Auch die Ă–sterreichische Kriminalistische Vereinigung 680 erstattete
ausführliche Stellungnahmen zum deutschen Entwurf 1919. Anlässlich
einer Tagung vom 13. bis 15. Oktober 1921 unter dem Vorsitz von Gleis-
pach 681 wurde geprĂĽft, ob der deutsche Entwurf eine taugliche Grund-
lage für Österreich darstellen könne.682 Türkel besprach die Sittlichkeits-
verbrechen und » Verwandtes «. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit
der sexualwissenschaftlichen Forschung zur Konträrsexualität hielt Tür-
kel für entbehrlich: Es spiele keine Rolle, ob Homosexualität eine orga-
nische Ursache habe, ob eine Ab- oder Entartung vorliege und ob eine
Verführung Heterosexueller möglich sei oder es sich dabei nur um » die
Erweckung latenter homosexueller Triebe « 683 handle. Die Verbreitung
der Homosexualität sei so weit wie möglich einzuschränken. Die einver-
ständliche gleichgeschlechtliche Unzucht zwischen erwachsenen Män-
nern mĂĽsse aber straflos gestellt werden:
679 Vgl Dehnow Fritz, Sittlichkeitsdelikte 22.
680 Die Ă–sterreichische Kriminalistische Vereinigung wurde 1906 nach dem Vorbild
der Deutschen Landesgruppe der internationalen Kriminalistischen Vereinigung
gegrĂĽndet, vgl Jahresbericht der Ă–sterreichischen Kriminalistischen Vereinigung,
Ă–sterreichische Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung
( 1906 ).
681 Gleispach war ĂĽberzeugter Antisemit und Nationalsozialist. Nachdem er 1933 we-
gen des Vorwurfs » konspirativer Tätigkeiten « für die Nationalsozialisten von sei-
ner Stelle als Strafrechtsprofessor an der Universität Wien in den » dauernden Ru-
hestand « versetzt worden war, übernahm er den Lehrstuhl von James Goldschmidt
an der Universität Berlin, der wegen seiner jüdischen Herkunft an einer weiteren
Lehrtätigkeit gehindert wurde. Das nationalsozialistische Kriegsstrafrecht entstand
unter wesentlicher Beteiligung von Gleispach, desgleichen hatte er maĂźgeblichen
Einfluss auf die beabsichtigte Neufassung der Bestimmungen ĂĽber die Sittlichkeits-
delikte. Eine der wenigen – und daher im Folgenden zitierten – Darstellungen des
» deutsch-österreichischen « Strafverfahrens, insbesondere des vereinfachten Verfah-
rens, stammt von Gleispach. Zu Gleispach siehe Grau GĂĽnther, Lexikon zur Homo-
sexuellenverfolgung 1933–1945. Institutionen – Personen – Betätigungsfelder ( 2011 )
112 f, sowie ausfĂĽhrlich Rabofsky Eduard / Oberkofler Gerhard, Verborgene Wurzeln der
NS-Justiz. Strafrechtliche RĂĽstung fĂĽr zwei Weltkriege ( 1985 ) 103 ff.
682 Die Ergebnisse der Tagung finden sich in Gleispach Wenzeslaus ( hg ), Der Deutsche
Strafgesetz-Entwurf. Berichte und Abänderungsvorschläge, bei der 1. Tagung der
Ă–.K.V. vom 13. bis 15. Oktober 1921 erstattet ( 1921 ).
683 TĂĽrkel Siegfried, Sittlichkeitsverbrechen und Verwandtes, in Gleispach Wenzeslaus
( hg ), Strafgesetz-Entwurf 158 ( 168 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik