Page - 179 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Image of the Page - 179 -
Text of the Page - 179 -
179
Die österreichische Reformdiskussion in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
der Kinder und Jugendlichen Genüge getan, » [ w ]as sich zwischen er-
wachsenen Menschen bei beiderseitiger voller Willensfreiheit und bei
freier Willensentscheidung abspielt, unterliegt – mag es auch widerwär-
tig und unbegreiflich erscheinen – nicht dem Strafgesetz. « 734 Leuthners
Parteikollege Eisler zeigte sich auĂźerdem durch medizinische Forschun-
gen beeinflusst, wie sie in Ă–sterreich etwa der Physiologe Eugen Steinach
und der Urologe Robert Lichtenstern betrieben. Steinach war der Ansicht,
homosexuelles Empfinden durch » Drüsenübertragung « beeinflussen zu
können und propagierte die Hodentransplantation als » Therapie « für
Homosexualität.735 In der » Tatsache «, dass » man die Homosexualität da-
durch heilen kann, daß man am Körper des Betreffenden Veränderun-
gen vornimmt « 736 sah Eisler einen Hinweis darauf, dass es sich um eine
krankhafte Störung handle. Dementsprechend sollten Strafrichter die
Möglichkeit haben zu prüfen, ob es sich bei dem homosexuellen Emp-
finden um einen unĂĽberwindlichen krankhaften Trieb gehandelt hatte.737
Auf österreichischer Seite stieß sowohl die der Rechtstradition wi-
dersprechende Einschränkung der Strafbarkeit auf den Verkehr zwi-
schen Männern als auch die Beibehaltung des Straftatbestandes als
solche auf Ablehnung. Der Jurist Walter Stricker kritisierte die Be-
schränkung der Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht auf
den mann-männlichen Verkehr als grundlos, das Delikt sei vielmehr
zur Gänze aus dem Strafgesetz zu beseitigen.738 Der Rechtswissenschaf-
ter und Kriminologe Georg Lelewer sprach sich gegen eine Strafbarkeit
von Frauen aus, wollte Jugendliche aber nicht nur bis zum vierzehn-
ten, sondern bis zum sechzehnten Lebensjahr unter strafrechtlichen
Schutz gestellt wissen.739 BefĂĽrwortet wurde die Strafbarkeit des gleich-
geschlechtlichen Verkehrs zwischen Frauen sowie die Beibehaltung des
734 Sonderausschuss zur Beratung des Strafgesetzentwurfes. 3. Sitzung ( General-
debatte ). Wien, am 29. September 1927, Parlamentsarchiv Wien.
735 Siehe Steinach Eugen / Lichtenstern Robert, Umstimmung der Homosexualität durch
Austausch der Pubertätsdrüsen, Münchener medizinische Wochenschrift, 65 / 1918,
145. Steinachs Annahmen wurden allerdings von zahlreichen zeitgenössischen For-
schern in Zweifel gezogen, vgl Gaupp Robert Eugen, Das Problem der Homosexua-
lität, Klinische Wochenschrift 1922, 1033 ( 1035 mit weiteren Nachweisen ).
736 StenProt 7. Sitzung des Sonderausschusses zur Beratung des Strafgesetzbuches am
10. November 1927, Parlamentsarchiv Wien.
737 Vgl StenProt 7. Sitzung des Sonderausschusses zur Beratung des Strafgesetzbuches
am 10. November 1927, Parlamentsarchiv Wien.
738 Vgl Stricker Walter, Der neue Strafgesetzentwurf, JBl 1927, 323 ( 343 ).
739 Vgl Lelewer Georg, Der österreichisch-deutsche Entwurf eines Strafgesetzbuches
und die neueste schweizerische Strafgesetzgebung, ZBl 1928, 485 ( 502 ).
back to the
book Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik