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180 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Grunddeliktes hingegen von der Katholischen Frauenbewegung: Sie
sah in der Unzucht zwischen Frauen ein » Laster, das schwere Gefahren
fĂĽr die Volkssittlichkeit, besonders Verderbnis der sittlichen Anschau-
ungen in der Frauenwelt und unabsehbare Schädigungen der Frauen-
gesundheit mit sich bringt « 740. Die » Schranke der Moral « 741 sei für Män-
ner und Frauen gleich zu ziehen, die gleichgeschlechtliche Unzucht im
Sinne der Volksmoral und der öffentlichen Sittlichkeit grundsätzlich
unter Strafe zu stellen. Auch die ( weibliche ) Prostitution sollte wieder
in das Strafgesetz aufgenommen werden.742
In medizinischen Fachkreisen begegnete das Kapitel des Entwurfs
ĂĽber die Unzucht herber Kritik. Der Gerichtspsychiater Emil Raimann
reihte Homosexuelle zwar unter die geistig Minderwertigen ein, be-
trachtete sie aber als » harmlos « und erachtete eine Bestrafung für ent-
behrlich.743 Hinsichtlich des Entwurfes stellte Raimann fest, dass die
vorgeschlagenen Strafbestimmungen in jeglicher Hinsicht enttäuschen
mussten. Weder jene, die zur Aufrechterhaltung der Sittlichkeit eine
Verschärfung und Vermehrung strafrechtlicher Verbote einmahnten,
noch diejenigen, die auf sexuellem Gebiet fĂĽr ein freies Selbstbestim-
mungsrecht Erwachsener eintraten, solange die öffentliche Sittlichkeit
nicht gefährdet wurde, konnten ihre Forderungen als verwirklicht an-
sehen. Onanie und Unzucht unter Frauen als » Privatangelegenheit « zu
betrachten, während die Sodomie unter die strafbaren Handlungen ein-
gereiht wurde, sei willkĂĽrlich. Den Argumenten des Motivenberichts,
so Raimann, sei wohl zu entnehmen, » daß eine gesunde Mehrheit des
Volkes den konträrsexualen Verkehr gefühlsmäßig verabscheut « 744. Die
Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht richte jedoch mehr
Schaden an als sie nĂĽtze. Belastend fĂĽr kĂĽnftige Untersuchungen und
insgesamt widersprĂĽchlich erschien Raimann die Tatsache, dass der
Entwurf nur mehr beischlafähnliche Handlungen für strafbar erklärte:
» Die bisnun so gewöhnliche Masturbation des einen durch den anderen
740 Reichspost Nr 324 vom 27. November 1927, 21.
741 Reichspost Nr 324 vom 27. November 1927, 21.
742 Hauer / Perchinig sprechen diesbezĂĽglich davon, dass die Katholische Frauenbe-
wegung eine » Verletzung des moralischen Gleichheitsprinzips der Geschlechter «
befürchtete, vgl Hauer Gudrun / Perchinig Elisabeth, Homosexualitäten 19.
743 Vgl Raimann Emil, Die Behandlung und Unterbringung des geistig Minderwertigen
( 1922 ) 31 f.
744 Raimann Emil, Die krankhaften Triebe im neuen Strafgesetz, Wiener Medizinische
Wochenschrift 1928, 930 ( 1092 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik