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Entwicklung des » modernen « Strafverfahrens bis 1918
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Verwaltung bestanden, nicht aber von der Justizverwaltung. Die Oberste
Justizstelle fungierte als oberstes Gericht für alle Erbländer der Monar-
chie, gleichzeitig oblagen ihr die Aufgaben eines Justizministeriums.806
Ein an sämtliche Landesstellen gerichteter Ministerialerlass 807 schuf
schließlich im März 1848 ein Ministerium, das die bisherigen Hofstellen
ersetzte. Justizverwaltung und Justizgesetzgebung wurden im Justizmi-
nisterium vereinigt, die Oberste Justizstelle übte nur mehr die Tätigkeit
als oberstes Gericht aus. Im August wurde sie in » Oberster Gerichtshof «
umbenannt.808 Mit allerhöchster Entschließung vom 22. Mai 1848 wur-
den die Ungehorsamkeitsstrafen im Strafverfahren beseitigt.809 Am 7.
September 1848 kam es zur Aufhebung des Untertänigkeitsverbandes
sowie zur Abschaffung der Patrimonialgerichtsbarkeit.810
Im Verfassungsoktroi vom 4. März 1849 811 war die Trennung von
Rechtsprechung und Verwaltung, die Ausübung des Richteramtes
durch unabhängige staatliche Organe, die Beteiligung von Laien 812 an
der Strafrechtspflege und die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Ver-
fahrens vorgesehen. Durch eine neue Gerichtsverfassung 813 und die von
Joseph von Würth, Referent im Justizministerium, ausgearbeitete pro-
visorische Strafprozeßordnung 1850 ( StPO 1850 ) 814 erfolgte die nähere
806 Vgl Leonhard Otto, Aus der Geschichte des österreichischen Obersten Gerichtsho-
fes, in FS Hundertjahrfeier 163 f.
807 Ministerial-Erlaß vom 17. März 1848, an sämmtliche Landesstellen ( JGS 1127 ).
808 Justiz-Ministerial-Erlaß vom 21. August 1848, sämmtlichen Appellationsgerichten
bekannt gemacht mit Justiz-Hofdecret vom 31. August 1848 ( JGS 1176 ).
809 Dazu Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 14; Ullmann Emmanuel von, Das österreichi-
sche Strafprozessrecht ( 1879 ) 15.
810 Allerhöchstes Patent vom 7. September 1848, Aufhebung des Unterthänigkeitsban-
des und Entlastung des bäuerlichen Besitzes, PGS 112.
811 Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die Reichsverfassung für das Kaiserthum
Österreich enthaltend, RGBl 1849 / 150.
812 Erstmals wurden in Österreich die – bereits im Allerhöchsten Patent vom 25. Ap-
ril 1848, Verfassungs-Urkunde des österreichischen Kaiserstaates, PGS 1848 / 49, der
so genannten Pillersdorfschen Verfassung, in Art 29 angekündigten – Geschwore-
nengerichte durch Provisorische Verordnung über das Verfahren in Preßsachen,
PGS 1848 / 67, eingeführt.
813 Kaiserliche Entschließung vom 14. Juni 1849, womit die Grundzüge der neuen Ge-
richtsverfassung genehmigt werden, RGBl 1849 / 278.
814 Kaiserliches Patent vom 17. Jänner 1850, giltig für diejenigen Kronländer, in wel-
chen das Strafgesetzbuch vom 3. September 1803 in Wirksamkeit steht; wodurch
eine neue provisorische Strafproceß-Ordnung mit der Bestimmung kundgemacht
wird, daß der Tag, an welchem sie in Wirksamkeit zu treten hat, erst nachträglich
bekannt gegeben wird, RGBl 1850 / 25. Würth orientierte sich an der badischen Straf-
prozessordnung von 1845 und an dem Thüringischen Entwurf von 1849, der im We-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik