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250 VI. Veranlassungsgründe der Strafverfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
reichs verboten worden war,1043 stellte das Aufspüren illegaler politi-
scher Tätigkeiten eine wichtige polizeiliche Maßnahme dar.
Als Beamte der Bundespolizeidirektion Linz bei dem 33-jährigen
Lehramtsanwärter Dr. Franz G. eine Wohnungsdurchsuchung durch-
führten, stießen sie statt des erwarteten illegalen politischen Materi-
als auf Aufzeichnungen und Briefabschriften, die die Beamten auf eine
homosexuelle Veranlagung des G. schließen ließen.1044 Franz G. hatte
Zeichnungen des männlichen Gliedes von einigen seiner Schüler an-
gefertigt. Die Zeichnungen waren mit dem Namen und dem Alter der
betreffenden Knaben sowie mit Kürzeln wie » beh. « für » behaart « oder
» gegr. « für » gewöhnliche Größe « versehen.1045 Während die Ermittlun-
gen gegen Dr. Franz G. nur einen einzigen Verdächtigen zu Tage förder-
ten, führte der Verdacht einer illegalen politischen Betätigung, den die
Bundespolizeidirektion Linz 1935 gegen den im Krankenhaus der Barm-
herzigen Schwestern beschäftigten 45-jährigen Ferdinand P. hegte, hin-
gegen zur Entdeckung einer weit verzweigten Gruppe von Männern, die
in weiterer Folge der Unzucht wider die Natur beschuldigt wurden.1046
Dieser Fall macht nicht nur deutlich, dass ein an sich unbedenkliches
Verhalten wie ein umfangreicher Briefwechsel bereits genügen konnte,
um von den Sicherheitsbehörden des austrofaschistischen Regimes
als » politisch verdächtig « eingestuft zu werden: Er offenbart auch die
kommunikativen Nöte » homosexuell Veranlagter «. Aufgrund der aus-
gedehnten Korrespondenz zwischen Ferdinand P. und dem in Kärn-
ten lebenden Johann M. teilte der Gendarmerieposten Greifenburg der
Linzer Polizeidirektion mit, es bestehe der Verdacht, P. würde sich in
verbotener Weise politisch betätigen. Tatsächlich konnte statt politi-
scher Umtriebe » [ b ]ei der Durchsicht seiner Effekten [ . ] festgestellt wer-
den, dass er mit mehreren Männern in geschlechtlichen Verbindungen
1043 Verordnung der Bundesregierung vom 26. Mai 1933, womit der Kommunistischen
Partei jede Betätigung in Österreich verboten wird, BGBl 1933 / 200; Verordnung
der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, womit der Nationalsozialistischen Deut-
schen Arbeiterpartei ( Hitlerbewegung ) und dem Steirischen Heimatschutz ( Füh-
rung Kammerhofer ) jede Betätigung in Österreich verboten wird, BGBl 1933 / 240;
Verordnung der Bundesregierung vom 12. Februar 1934, womit der Sozialdemo-
kratischen Arbeiterpartei Österreichs jede Betätigung in Österreich verboten wird,
BGBl 1934 I / 78.
1044 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Meldung vom 27. Jänner 1934.
1045 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Vernehmung des Beschuldigten vom
3. Februar 1934.
1046 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 462, 6 Vr 1954 / 35. Siehe auch Kapitel I.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik