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254 VI. VeranlassungsgrĂĽnde der Strafverfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
losen Anzeigen sollte gem § 87 StPO 1873 zwar nachgegangen werden,
allerdings nur, wenn sie ausreichende Hinweise enthielten, um die Tat
genau zu bezeichnen. Bei den Erhebungen war zudem jegliches Auf-
sehen zu vermeiden und die Ehre der angezeigten Person möglichst
zu schonen.1059 Wie viele anonyme Anzeigen unzĂĽchtiger Handlungen
während des Untersuchungszeitraums tatsächlich die Sicherheitsbe-
hörden erreichten, lässt sich dem untersuchten Aktenbestand nicht
entnehmen.1060 Polizeiliche Erhebungen und ein Tätigwerden der
Staatsanwaltschaft wurden durch namenlose Anzeigen nur in vier Fäl-
len veranlasst. In all diesen Fällen richtete sich die anonyme Anzeige
gegen bereits einschlägig vorbestrafte Personen, außerdem gelang es
den Sicherheitsbehörden im Laufe ihrer Ermittlungen, die Identität der
Anzeigenden festzustellen.1061 Die GrĂĽnde, die eine Person dazu bewo-
gen, ohne Angabe ihres Namens und mitunter durch bloĂźe Andeutun-
gen eine andere Person der gleichgeschlechtlichen Unzucht wider die
Natur zu beschuldigen, konnten vielfältig sein 1062 und blieben biswei-
len unklar.1063
zeige stellt noch in einer weiteren Hinsicht eine Besonderheit dar, da sie nicht an
die Sicherheitsbehörde, sondern an die Staatsanwaltschaft in Linz gerichtet war.
Unmittelbar an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht ergehende Anzeigen von
Privatpersonen sind im Allgemeinen äußerst selten, vgl Kürzinger Josef, Strafan-
zeige 15 f.
1059 Vgl Lohsing Ernst, StrafprozeĂźrecht 3 297; Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 211.
1060 FĂĽhrte schon nicht jede namentliche Anzeige zur Veranlassung eines Strafverfah-
rens, so galt dies nicht minder fĂĽr anonyme Hinweise.
1061 Auch diesbezüglich stellt die oben erwähnte Anzeige eine Ausnahme dar: Weder
gelang es, die Identität der anonym anzeigenden Person auszuforschen, noch wa-
ren die Beschuldigten vorbestraft. Allerdings lag in diesem Fall neben der anony-
men Anzeige eine Anzeige des Kleinhäuslers Michael K. gegen einen unbekannten
Täter vor, die sich mit den in der anonymen Anzeige berichteten Vorgängen zu-
mindest teilweise deckte, vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 635 / 28, Species facti
vom 4. Februar 1928.
1062 So schienen hinter jenem anonymen Schreiben, das den im Jahr 1911 bereits ein-
mal wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht zu einer dreimonatigen schweren Ker-
kerstrafe verurteilten Gasthauspächter Martin J. beschuldigte, sich erneut mit jun-
gen Burschen abzugeben, vor allem wirtschaftliche Motive zu stehen, worauf der
Umstand hinweist, dass sich die Anzeige an die Gewerbebehörde und nicht etwa
an die Polizeidirektion oder die Staatsanwaltschaft richtete, vgl OĂ–LA, BG / LG Linz
Sch 370, 8a Vr 193 / 31, Anonyme Anzeige ( undatiert ). Zu möglichen Hintergründen
anonymer Anzeigen vgl auch Schneickert Hans, Kriminalcharakterologische Stu-
dien. III. Der Denunziant, Archiv fĂĽr Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik,
Bd 25, 1906, 264 ( 267 f ).
1063 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 391, 6 Vr 915 / 32, Anonyme Anzeige ( undatiert ). Die
66-jährige Offizialswitwe Aloisia Kr., die als Urheberin der anonymen Anzeige aus-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik