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Anzeigen durch Privatpersonen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Auf ein ganzes Geflecht an unterschiedlichen Motiven lassen die Er-
eignisse schließen, die am 4. Juli 1934 zu der anonymen Anzeige gegen
den neunzehnjährigen Friseurgehilfen Franz Z. und den 56-jährigen
Karl H. führten.1064 Von Herbst 1933 an hatte Franz Z. ein » Liebesver-
hältnis « mit der gleichaltrigen Marie S. unterhalten. Marie S. war die
Tochter der geschiedenen Bundesbahnereheleute Franz und Johanna S.
Ab April 1934 wohnte Franz Z. als Untermieter bei Johanna S. und ihrer
Tochter Marie S.1065 Nachdem Franz Z. der Marie S. die Ehe versprochen
hatte, kam es wiederholt zu sexuellem Verkehr, doch schließlich hatte
Franz Z. an Marie S. » kein Interesse mehr « 1066. Er beendete die Bezie-
hung brieflich mit den Worten: » Es muß leider Schluß sein Mitzi, also
behüt dich Gott. « 1067 Marie S. reagierte auf diesen Brief verzweifelt, so-
dass sich ihre Mutter außer Stande sah, sie zu trösten. Die zu Hilfe ge-
rufene Nachbarin klärte Mutter und Tochter darüber auf, » dass man Z.
keine Träne nachzuweinen brauche « 1068. Sie äußerte ihr Erstaunen da-
rüber, dass Johanna S. nicht wisse, » in welchen Beziehungen Z. zu Karl
H. [ … ] stehe. Sie wisse dies von ihrer Schwester, welche es wieder von
einer gewissen Frieda B. [ .. ] erfahren habe. « 1069 Johanna S. und Marie S.
konfrontierten Franz Z. nun mit der unerlaubten Beziehung und droh-
ten ihm, Anzeige zu erstatten. Franz Z. gab den widernatürlichen Ver-
kehr mit Karl H. zwar zu, bat aber die Frauen, » davon [ von der Anzeige ]
Abstand zu nehmen, die Sache lasse sich vielleicht in Güte regeln. « Der
Versuch einer außergerichtlichen Konfliktregelung scheiterte jedoch:
Karl H. bestritt die Richtigkeit von Franz Z. Angaben und drohte seiner-
seits mit Verleumdungsklage. Einen Monat später wurde die anonyme
Anzeige erstattet, vermutlich durch den Vater von Marie S.1070
geforscht werden konnte, gab lediglich an, » [ s ]ie wisse schon seit Jahren, dass Sch.
ein homosexueller Mensch sei und sich jüngere Burschen nur zu diesem Zwecke
in seine Wohnung nehme. «, Bericht vom 16. Juni 1932.
1064 Eingehend zu diesem Fall und zum Umgang mit normwidrigem Sexualverhalten
während des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes Greif Elisabeth, » Es muß leider Schluß
sein Mitzi, also behüt dich Gott. « Normwidriges Sexualverhalten in der austrofa-
schistischen Diktatur, ÖZG 2016 / 3, 71.
1065 Im selben Haushalt lebte auch noch Maries Schwester und der drei Monate alte
Kurt S., ein Ziehkind von Maries Mutter.
1066 OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Niederschrift vom 13. Juli 1934.
1067 OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Brief vom 1. Juni 1934.
1068 OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Niederschrift vom 12. Juli 1934.
1069 OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Niederschrift vom 12. Juli 1934.
1070 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 436, 6 E Vr 1346 / 34, Niederschrift vom 12. Juli 1934.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik