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Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Tatverdächtigen war eindeutig: Sie waren bis auf zwei Ausnahmen 1121
männlich und gehörten häufig einer sozial niedrigeren Schicht an als
die Eltern des Opfers.1122 Fast immer waren es Personen, die sowohl
die Eltern als auch die missbrauchten Kinder selbst kannten und mit
denen sie in einem gewissen Naheverhältnis standen, wie ein auf dem
Hof des Vaters untergebrachter Schlafgeher 1123 oder ein Nachbar 1124. In
mehreren Fällen wurden Knechte angezeigt, sich an den unmündigen
Söhnen ihrer Dienstherren oder anderer Gemeindemitglieder unsitt-
lich vergangen zu haben.1125 Fielen Anzeiger und Dienstgeber in eins zu-
sammen, wurden die Verdächtigen meist sofort entlassen, erst danach
verständigte man die Sicherheitsbehörden.1126 Der 39-jährige Landwirt
Johann Sp. griff zunächst zu anderen Mitteln, bevor er Anzeige gegen
seinen sechzehnjährigen Hüteknaben Ernst St. erstattete: Als die acht-
jährige Tochter des Landwirts im Frühjahr 1933 erzählte, Ernst St. habe
versucht, ihr die Hose auszuziehen, stellte Johann Sp. den Jugendlichen
zur Rede und versetzte ihm ein paar Ohrfeigen. Eine Woche später be-
gab sich Johann Sp. zur Erziehungsanstalt » Zum Guten Hirten «, von der
er Ernst St. übernommen hatte. Er erklärte dort, Ernst St. nicht länger
behalten zu wollen, ließ sich aber überreden, ihn » bis Lichtmeß « 1127 in
1121 Hierbei handelte es sich jeweils um jugendliche Täterinnen: Die zum Tatzeitpunkt
siebzehnjährige Maria H. wurde vom Ziehvater der elfjährigen Maria D. angezeigt,
mit seiner Ziehtochter Unzucht wider die Natur getrieben zu haben, vgl OĂ–LA,
BG / LG Linz Sch 310, Vr VI E 429 / 25, Anzeige vom 27. März 1925. Die neunzehnjäh-
rige Dienstmagd Anna B. wurde wegen Schändung an dem Volksschüler Engelbert
K. und wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht an der zehnjährigen Volksschülerin
Anna K. angezeigt. Die Unzuchtshandlungen traten anlässlich der Ermittlungen
wegen Schändung zu Tage, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 395, 6 Vr 1378 / 32, Anzeige
vom 7. Juli 1932.
1122 Zum Zusammenhang zwischen Anzeigeverhalten der Eltern von Opfern sexueller
Gewalt und Schichtzugehörigkeit des Täters vgl Hommen Tanja, Sittlichkeitsver-
brechen 170 f.
1123 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 1608 / 28.
1124 Vgl etwa OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 364, 11 Vr 1197 / 30.
1125 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 301, Vr XII E 1062 / 23; OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 379, 6 Vr
1422 / 31; OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 479, 8a Vr 1096 / 36.
1126 Auch Dienstgeber, die nicht selbst betroffen waren, entließen Verdächtige, wenn
die Tat bekannt wurde und sie mit den Eltern des Opfers in einer wirtschaftlichen
Beziehung standen, vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 307, Vr VI E 1226 / 24.
1127 Der Dienstbotenwechsel folgte im landwirtschaftlichen Bereich einer bestimmten
Ordnung. Der 2. Februar – » Maria Lichtmeß « – war der Termin, an dem ein Wech-
sel des Arbeitsplatzes vorgenommen wurde. Ein Stellenwechsel zu einem anderen
Zeitpunkt deutete auf einen Konflikt hin, vgl Ortmayr Norbert, Ländliches Gesinde
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik